21.7.2020

Impulse zum Kleinen Prinzen

Als es eine Übersetzung von Antoine de Saint-Exupérys (1900-1944) Buch Der Kleine Prinz in deutscher Sprache gab, lernte ich es als Junge durch die Freundin meiner Mutter kennen. Neben der Bibel wurde Der Kleine Prinz für mich zum wichtigsten Buch. Je älter ich wurde, desto mehr verstand ich es. Später habe ich auf diesem Buch basierende Besinnungstage gehalten.

Eine ehemalige Kursteilnehmerin und eifrige Leserin von „Neusehland“ bat mich, für die Impulse eine Reihe zum „Kleinen Prinzen“ zu verfassen.

Welche Wirkung die Beschäftigung mit dem Kleinen Prinzen haben kann, zeigt die damalige Rückmeldung einer weiteren Kursteilnehmerin.

„Der Kleine Prinz liebt die Sonnenuntergänge, ich liebe sie auch. So möchte ich mich mit dieser Aspeler Sonne bei Ihnen bedanken für die unvergleichliche Art, wie Sie uns den Kleinen Prinzen aufgeschlossen haben. Ich persönlich habe viel über mich erfahren und bin wirklich davon überzeugt, daß die schlimmsten Wunden die sind, die ich mir selber zufüge, was nicht heißt, daß mein Leben mir nicht wertvoll war. Die nicht weinende Mutter wird mir noch viel zu denken geben, wahrscheinlich denke ich aber ohnehin zu viel und sollte lieber meinen Bauch sprechen lassen. Ich weiß schon, was sein müßte, um die Schleusen zu öffnen, ein einfacher Mensch, der mir zuhört ohne viel Ratschläge oder Mitleid hätte es gewiß. Warte ich halt in meiner Wüste auf das Kind, ich bin sicher, daß es kommt.“

Rainer Maria Rilke (1875-1926) beginnt seinen RomanDie Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ wie folgt:
„Man wird mich schwer davon überzeugen, daß die Geschichte des verlorenen Sohnes [Lk 15,11-32] nicht die Legende dessen ist, der nicht geliebt werden wollte. Da er ein Kind war, liebten ihn alle im Hause. Er wuchs heran, er wußte es nicht anders und gewöhnte sich in ihre Herzweiche, da er ein Kind war. Aber als Knabe wollte er seine Gewohnheiten ablegen.“

Ich persönlich bin davon überzeugt, daß die Geschichte vom verlorenen Sohn die gleiche ist wie die des Kleinen Prinzen, nur daß diese anders endet.

Der verlorene Sohn findet wahrhaft heim; die Liebe findet ihr Ziel in der Demut, sich lieben zu lassen. Was aus dem Kleinen Prinzen geworden ist, nachdem er auf seinen Stern zurückgekehrt ist, wissen wir nicht.

Das Buch ist wie das gesamte Werk Antoine de Saint-Exupérys aus einer geistigen Einsamkeit geboren, aber einer Einsamkeit, die glüht. Der Kleine Prinz stellt sich in einer Folge von Parabeln und Gleichnissen dar. Der Autor vertraut dem Leser an, daß er bis zum Erscheinen dieses kleinen Menschen, der ihn darum bat, ein Schaf zu zeichnen, allein gelebt habe, ohne irgendjemanden, mit dem er wirklich habe sprechen können. Man bemerkt sehr schnell, daß der Kleine Prinz das Duplikat des Autors ist, das Kind, das immer in ihm lebte, das ihn hinderte, ein dummer Erwachsener zu werden, der nur an Zahlen, Beweise und Logik glaubte.

Der Kleine Prinz ist so bedeutend, weil er Aufschluß gibt über uns selbst und die Möglichkeiten uns selbst wiederzufinden. Wer sich mit dem Märchen interpretierend beschäftigt, läuft jedoch auch Gefahr, ein „Affenbrotbaum“ zu werden, der in seiner Aufgeblasenheit zerstörerisch wirkt.

Gerade einmal ein Jahr lang lebte der Kleine Prinz in unserer Welt, bevor er heimkehrte zum Licht der Sterne.

Eugen Drewermann (*1940):
Die Welt hat sich nicht geändert, seit der Kleine Prinz sie betrat, aber es ist möglich, sie mit anderen Augen zu sehen. [...] Das Göttliche Kind der Religion verkörpert ein Kind, das den Tod überwunden hat. Der Kleine Prinz symbolisiert eine Kindlichkeit, die nie zum Leben zugelassen wurde.

 

Antoine de Saint-Exupéry:
Ich setzte mich einem Paar gegenüber. Zwischen Mann und Frau hatte sich das Kind ein Nestchen gebaut, so gut es ging, und schlief. Einmal wendete es sich doch im Schlaf und sein Gesichtchen erschien mir im Licht der Nachtbeleuchtung. Welch liebliches Gesicht! Diesem Paar war eine goldene Frucht geboren; aus den schwerfälligen Lumpen war eine Vollendung von Anmut und Lieblichkeit entsprungen. Ich beugte mich über die glatte Stirn, die feingeschwungenen Lippen und sah, das ist ein Musikerkopf – das ist Mozart als Kind, eine herrliche Verheißung an das Leben! So sind nur die kleinen Prinzen im Märchen. Was könnte aus diesem Kind, wenn es behütet, umhegt, gefördert würde, alles werden! - Wenn in einem Garten durch Artwechsel eine neue Rose entsteht, faßt alle Gärtner größte Aufregung. Man verwahrt die Rose, man pflegt sie, man tut alles für sie. Aber für die Menschen gibt es keinen Gärtner. Das Kind Mozart wird wie alle anderen vom Hammer zerbeult. Vielleicht empfängt es einst seine höchsten Wonnen von einer entarteten Musik in der stickigen Luft eines Nachtcafés, Mozart ist zum Tode verurteilt. (Wind, Sand und Sterne: Düsseldorf 1960: 190)

Laut Eugen Drewermann ist der Kleine Prinz als Seelenbild des in uns noch vor dem Leben Getöteten zu verstehen. Er erlebt seine Welt, seinen Stern, die Heimat seiner Kindheit. Doch es treibt ihn, das Land seiner Kindheit zu verlassen, um in die Welt der Großen, der Erwachsenen, zu gelangen. Er trifft zwar keinen Rosengarten an, kehrt aber nach einem Jahr sehr gereift auf seinen Planeten zurück.

In den folgenden Impulsen lernen wir den Autor kennen und begleiten den Kleinen Prinzen auf seiner Reise durch unsere Welt.

Was können wir von ihm lernen?