26. Sonntag im Jahreskreis C – In Abrahams Schoß (29.9.2019)

Schriftstellen:
Erste Lesung: Am 66,1a.4-7
Zweite Lesung: 1 Tim 6,11-16
Evangelium: Lk 16,19-31

Eine einzige Bemerkung der Heiligen Schrift hat eine sehr große Wirkungsgeschichte hervorgerufen. Wir hörten im heutigen Evangelium von Abrahams Schoß, in den der arme Lazarus nach seinem Tod getragen wurde. Ein Bild für Heimat und Frieden, ja für Glück und Angekommensein.

An vielen Kirchenportalen, vor allem in Frankreich, finden wir neben dem Höllenrachen das Bild eines alten Mannes. Es ist Abraham, der in seinem Schoß Menschen birgt, von denen in der Regel nur der Kopf zu sehen ist.

Der Ausdruck „in Abrahams Schoß sein“ wurde für die christliche Frömmigkeit und Kunst gleichbedeutend mit „im Paradies sein“.

Interessant an dieser Vorstellung ist der Zusammenhang zwischen Seligkeit und Kindheit. Das Kind, das sich im Schoß einer väterlichen oder mütterlichen Person geborgen fühlt, wird zum Inbegriff des Menschen, der die ewige Vollendung gefunden hat. Da zu dieser auch die Begegnung mit anderen Vollendeten gehört, hat Abraham über seinem Schoß meist ein Tuch ausgebreitet, in dem mehrere Selige Platz gefunden haben. Fröhlich lächelnd geben sie Kunde von ihrem Glück.

Fachleute belehren uns, daß die Formulierung „in Abrahams Schoß sein“ vom Urtext her nicht wörtlich zu nehmen ist. Der Selige wird nicht zum Kind, das von Abraham auf den Knien gewiegt wird, sondern ruht eigentlich an Abrahams „Brust“, das heißt, er liegt mit Abraham zu Tisch und nimmt als dessen Ehrengast am himmlischen Festmahl teil.

Im heutigen Gleichnis erscheint alles viel logischer. Der arme Lazarus lag monatelang vor der Tür des Reichen in der Hoffnung, Hilfe zu finden. Aber niemand hat sich um ihn gekümmert. Der reiche Mann dachte nur an sein Vergnügen und seinen Genuß.

Im Jenseits jedoch haben sich die Verhältnisse umgekehrt. Der herzlose Reiche ist in die Unterwelt verbannt worden, wo er schlimme Qualen erleidet. Zu diesen Qualen gehört auch der Blick auf Lazarus, der nun gewissermaßen die frühere Stellung des Reichen eingenommen hat. Zusammen mit Abraham läßt er es sich an einer festlichen Tafel wohl ergehen, während der Reiche, der vor Durst fast verschmachtet, zuschauen muß.

Als Abraham dem Reichen erklärt, daß man vom Paradies aus seine Not wegen eines „unüberwindlichen Abgrundes“ nicht lindern kann, offenbart der Reiche seinen Familiensinn. Er ist um das Seelenheil seiner noch lebenden fünf Brüder besorgt, die ihre Tage ähnlich oberflächlich verbringen, wie er es getan hat, und bittet, Lazarus möge vorübergehend ins Diesseits zurückkehren und den Brüdern eine aufrüttelnde Bußpredigt halten.

Abraham, der in diesem Fall ganz im Sinne Jesu spricht, lehnt ein solches Demonstrationswunder ab; denn wer nicht auf dem Boden der Heiligen Schrift steht und seine Lebensführung „am Gesetz und den Propheten“ orientiert, läßt sich auch durch das Mirakel einer Totenerweckung nicht bekehren.

Lukas schreibt zu einer Zeit, in der die urchristliche Erwartung des Weltendes immer schwächer wird und die Frage nach dem irdischen Besitz an Wichtigkeit gewinnt.

Außerdem gibt es in den hellenistischen Gemeinden schon zahlreiche begüterte Menschen. Lukas sieht in dieser Entwicklung eine Gefahr, daher schärft er seinen Gemeinden ein, daß Gott auf Seiten der Armen steht. Er beschenkt „die Hungernden mit seinen Gaben, die Reichen aber läßt er leer ausgehen“ (Lk 1,53).

Natürlich hat der Reiche bewußt nichts „gegen“ Gott oder die Armen, aber er wird allmählich „blind“ für sie, blind auch für den Bettler vor seiner Tür, und nicht zuletzt blind für „Mose und die Propheten“, das heißt für deren Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und Nächstenliebe. Wenn vor Gott Reichtum etwas zählen soll, muß man diesen in „himmlisches Kapital“ ummünzen, indem man mit ihm wohltätig handelt.

Noch ein zweites Anliegen vertritt Lukas im heutigen Evangelium. Er wendet sich am Schluß gegen eine gewisse Wundersucht und verweist statt dessen auf den „normalen“ Heilsweg, der im Gehorsam gegenüber Gottes Wort besteht.

Wer in Abrahams Schoß gelangen will, braucht keine Sonderoffenbarung. Er erfährt aus der Heiligen Schrift, was er dafür zu tun hat. Der Name „Lazarus" bedeutet „Gott hilft“. Lazarus ist der Schutzheilige der Kranken. Auf seinen Namen geht unter anderen auch die Bezeichnung „Lazarett" zurück. Ein Programm für jeden Christen lautet: „Wer in kindlichem Vertrauen seine Hoffnung auf Gott setzt, dessen Trauer wird sich schließlich in Lachen verwandeln", und bekanntlich lacht am besten, wer zuletzt lacht!

Wir Menschen kommen aus einem Schoß, dem Schoß unserer Mutter. Uns ist die Erinnerung an Glück und Geborgenheit geblieben. Als Kinder flüchteten wir immer wieder auf den Schoß unserer Mutter oder unseres Vaters. Aber dort ist keine Bleibe; denn wir müssen in unserem Leben auf dem Weg sein. Aber wir sehnen uns danach, in einem Zuhause anzukommen. Ein Bild für diese Sehnsucht ist der Schoß.

Lazarus ist angekommen, wohingegen es der reiche Prasser nicht geschafft hat.

Wer reich ist, kann sich zwar jeden Wunsch erfüllen und braucht nichts mehr von Gott zu erwarten, aber in Wirklichkeit ist er nur ein Armer mit sehr viel Geld.