25.7.2020

4. Der Kleine Prinz als Bild eines Kindes

Antoine de Saint-Exupéry geht es um die Frage nach dem Sinn seines Lebens: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Mit diesen Fragen setzen wir uns alle auseinander, auch der Kleine Prinz, der für Antoine de Saint-Exupéry das eigene Selbst darstellt. Der Dichter versetzt uns in unsere Kindheit und konfrontiert uns so mit unserem Erwachsensein, unserem scheinbar so klugen alltäglichen Tun und Leben. Kindsein heißt vertrauendes Geöffnetsein.

Es gibt viele Gründe dafür, daß Gott Kind werden mußte, um uns zu erlösen. Darin besteht auch das Geheimnis von Weihnachten. Wir müssen Kinder werden, um erlöst zu werden (vgl. Mt 18,1; Mk 9,36; 10,15; Lk 18,17).

Am Beispiel des Kleinen Prinzen gehen wir der Frage nach, wie wir als Erwachsene Kinder sein können, ohne kindisch zu werden.

Der Kleine Prinz betrachtet die Welt mit den Augen eines Kindes. Als königliches Kind steigt er in unsere Welt hinab und lehrt die Menschen, alles mit anderen Augen zu sehen. Kinder- und Erwachsenenwelt werden einander gegenübergestellt. Aus der Sicht des Kleinen Prinzen gleicht die Erwachsenenwelt einer einzigen großen Tragikomödie.

Die Erwachsenengestalten sind Porträts der Einsamkeit. Sie wollen um jeden Preis erwachsen sein. Daher sind sie sehr ernst und humorlos; denn ihnen fehlt die Kunst des Lebens. Der Kleine Prinz weckt die Sehnsucht nach dem ganz Anderen und seine Erscheinung gleicht einem Traum, weil er letztendlich auf seinen kleinen Planeten zurückkehrt.

Sich den Blick eines Kindes nicht nehmen zu lassen, ist eine Lösung, aber keine Erlösung. Jesus schickt uns auf die Suche nach dem Schatz. Er möchte, daß wir das Reich Gottes annehmen wie ein Kind (Mk 10,15 par). Wenn wir werden sollen wie ein Kind, sollen wir davor bewahrt werden, uns selbst zu verlieren.

Der Kleine Prinz hat Vertrauen in die Schöpfung, wie sie nur ein Kind haben kann. So ist er ein Bild für unsere verlorene Kindheit. Axel Denecke (* 1938) spricht von einer „Klage über all das, was wir verloren haben an Vertrauen und Liebe, über das königliche Kind, das in uns geschändet wurde; voll Sehnsucht, dass dieses Kind uns doch neu geschenkt wurde“.

Unsere Welt ist kein Rosengarten.

Axel Denecke:
Das königliche Kind in uns spürt das noch. Als Erwachsener hat man genug Mittel gefunden, dies einfach nicht wahrzunehmen, zu übertünchen. Wie könnte man es auch sonst aushalten? Und man richtet sich ein, so wie all die großen Leute es tun, denen der kleine Prinz auf seiner Reise zur Erde begegnet. [...Er] ist voll Erstaunen über die großen Leute; über uns alle, denn in allen, so weh es tut, können wir uns ja durchaus wiederfinden. Und wenn nicht, dann haben wir uns noch nicht mit den Augen des kleinen Prinzen in uns gesehen. Und wenn wir ihn gar abgetötet, abgetrieben haben, ja dann können wir auch wirklich nichts merken. Aber der kleine Prinz merkt es mit offenen Ohren, mit wachen Augen.

Wie können auch wir lernen, die Welt so zu betrachten?

Wir müßten uns in die Wüste begeben, um zu uns selbst zu finden. Dort könnte uns zum Beispiel wie dem Kleinen Prinzen der Fuchs begegnen und uns als Weggefährte Augen und Ohren zum wahren Leben öffnen und uns lehren, was „zähmen“ bedeutet.