3.5.2019

Abschiedlich leben

Wir haben auf Erden keine bleibende Stätte, und doch brauchen wir auch hier eine Heimat, obwohl unsere wahre Heimat, zu der wir als Pilger unterwegs sind, im Himmel ist.

Zur Heimat auf meinem Pilgerweg wurden mir meine Stellen als Kaplan und als Spiritual. Beim Aufräumen fand ich meine Predigten zum Abschied als Kaplan in Xanten vom 9. März 1969 und in Wesel vom 31. Oktober 1971 sowie meine GeDANKen zur AbDANKung als Spiritual in Münster 1992.

Abschied von Xanten St. Viktor am 9. März 1969

Xanten (1)

 

Als ich vor gut fünf Jahren in Kleve Christus-König als Neupriester Primiz feierte, war der Xantener Bürger und Redaktionsleiter der Rheinischen Post in Kleve Erich Stecher zugegen. Für seinen Zeitungsbericht ließ er sich von meinem Primizbildchen inspirieren und gab dem Bericht die Überschrift „Diener euerer Freude“.

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Damals wußte ich noch nicht, daß meine erste Kaplansstelle in Xanten sein sollte und ich fünf Jahre lang in dem schönen Dom, obwohl noch Baustelle, versuchen durfte, nicht „Herr des Glaubens“ zu sein.

Das folgende Zitat aus Georges Bernanos' (1888-1948) „Tagebuch eines Landpfarrers“ hat mich schon immer tief beeindruckt.

Der Pfarrer von Torcy an den Landpfarrer:
„Ich kann wahrhaftig nichts dafür, daß ich wie ein Totengräber herumlaufe. Übrigens kleidet sich der Papst in Weiß und die Kardinäle in Rot. Von Rechts wegen müßte ich wie die Königin von Saba gekleidet einhergehen, denn ich bringe die Freude. Ihr könntet sie umsonst von mir haben, wenn ihr sie nur wolltet. Die Kirche verfügt über die Freude, über den ganzen Anteil von Freude, der dieser traurigen Welt beschieden ist. Was man wider die Kirche tut, hat man wider die Freude getan. Ich hindere doch niemand daran, die Verschiebung der Tag-und-Nacht-Gleichen zu berechnen oder Atome zu zertrümmern. Aber was würde es euch helfen, wenn ihr sogar das Leben künstlich herstellen könntet und hättet den Sinn für das Leben verloren?“

Wenn auch oft unreife Menschlichkeit im Wege stand, so durfte ich doch vielen im Namen des Herrn die Freude bringen. Ich muß bekennen, daß sie auch auf mich zurückstrahlte und mich glücklich machte.

Eine Gemeinde kann viel dazu beitragen, daß ein Priester glücklich wird und ausgefüllt ist durch seinen Beruf. Ich kann nur sagen: „Ich habe meine Berufswahl nicht bereut. Dafür danke ich dieser Gemeinde, angefangen vom Propst bis hin zum jüngsten Gemeindemitglied.“

Es ist gut, wenn wir erkennen, daß der Priester vor allem ein Mensch ist, aber damit müßte auch das Bewußtsein wachsen, daß gegenseitige Unterstützung nötig ist. Es gilt nicht das Motto „Arzt gesund, Patient krank“; denn beide, sowohl der Priester als auch der „Patient“, sind hilfsbedürftig.

Es wird heute viel über den Priester geschrieben. Vor Jahren stand er im Mittelpunkt vieler Filme. Seit dem Konzil unterscheidet man nicht mehr zwischen Priester und Laien, sondern beide sind Volk Gottes, jeder mit einem besonderen Dienst. Der Priester hat seinen Nimbus verloren, die Liturgie zeigt eindeutig den konkreten Bezug zur Gemeinde: Der Priester zelebriert „versus populum – zum Volk gewandt“; selbst den Kanon spricht er nicht mehr leise für sich, alle sollen ihn hören; Laien dürfen Kommunionhelfer sein; die Predigt erfolgt nicht mehr von der Kanzel, gleichsam über der Gemeinde, sondern vom Ambo auf Augenhöhe mit der Gemeinde.

Der Priester will ein Heutiger sein, mit Blick für die Wirklichkeit, mit anderen wirklich ins Gespräch eintreten und nicht denken, das kann ich ihm nicht sagen. Er muß auch die Botschaft vom Kreuz verkünden. Er darf kein Außenseiter werden. All das kann er, wenn er sich auf die Diakonia, den Dienst besinnt nach dem Motto „Ich bin unter euch, wie einer der dient“.

Um dazu immer fähig zu sein, braucht er Ihre Hilfe und Ihr Gebet.

Der Kirchenvater Johannes Chrysostomus (um 345-407) formulierte:
„Nun aber bedarf ich vieler Hilfe und der Gebete ohne Zahl, damit ich dem Herrn das Pfand, das er bei mir hinterlegt, ganz und heil zurückgeben kann an jenem Tag, wo die Verwalter seiner Talente zur Rechenschaft gezogen werden.“

Abschied von Wesel St. Martini am 31. Oktober 1971

Wesel (1)

 

Als ich einen Tag in Martini war, sagte mir eine Frau: „Der Abschied von Xanten ist Ihnen doch schwergefallen.“ Ich fragte: „Woraus schließen Sie das?“ Sie antwortete: „Ich habe Ihre Abschiedspredigt in Xanten gehört.“

Nun heißt es schon wieder Abschied nehmen, und zwar schneller als ich dachte. Ich war gerne in Martini, habe viel Freude empfangen und selbst immer versucht, meinen Primizspruch „Wir sind nicht Herren eueres Glaubens, sondern Diener euerer Freude“ zu verwirklichen und auch ein gutes Echo erhalten.

Wenn ich heute sagen kann, ich habe es nicht bereut, zu Wesel ja zu sagen, dann gebührt dieser Gemeinde mein Dank, vom Pastor bis zum jüngsten Gemeindemitglied. Es ist ein Dank für die Geschenke der Gemeinschaft, in die ich aufgenommen wurde.

Eine Gemeinde trägt große Verantwortung für ihre Priester und kann viel dazu beitragen, daß sie segensreich wirken können, glücklich werden und ausgefüllt sind durch ihren Beruf.

Wir müssen die Vorstellung aufgeben, Gemeinde sei nur Objekt der Seelsorge und das Subjekt sei der Priester. Der Pastoralplan sieht vor: „Die Gemeinde ist zugleich Ort, Träger und Objekt der Seelsorge. Seelsorge geschieht im Namen der Gemeinde – Seelsorge geschieht aber auch durch die Kirche, also durch die Gemeinde und ihre Glieder.“

Es müßte das Bewußtsein wachsen, daß gegenseitige Hilfe nötig ist. Es gilt nicht das Motto „Arzt gesund, Patient krank“; denn beide, sowohl der Priester als auch der „Patient“, sind hilfsbedürftig.

Der Priester ist ein Bettler, der anderen sagen kann, wo es etwas Gutes gibt.

Wir müssen die Vorstellung aufgeben, eine 5000 Personen große Gemeinde könne eine große Gemeinschaft werden, wo jeder jeden kennt, ganz abgesehen von der Fluktuation innerhalb der Gemeinde. Und doch muß eine Gemeinde der Vereinsamung der Menschen entgegenwirken. Eine Lösung wäre die Bildung von kleinen Gruppen, örtlich oder nach Interessen.

Es gab die Teeabende. Hier zeigte sich deutlich das Verantwortungsgefühl der Gemeinde. Es waren Ansätze von Wohnviertelapostolat mit Hilfeleistungen und Besuchen der Neuzugezogenen. Der Förderkreis unterstützte die Eltern der Kommunionkinder und der Kindergartenkinder.

Solche Tätigkeiten strahlen über auf die ganze Gemeinschaft. Das zeigt sich zum Beispiel in der Lebendigkeit der Eucharistiefeier.

Hermann Krechting, der am 24. Juli 1971 in Rio de Janeiro beim Baden ertrunken ist, sagte über den „Spiritual der Laien“:
„Aufgabe des Spirituals ist es, jedem zur Erkenntnis seiner göttlichen Berufung zu verhelfen und Glaube, Hoffnung und Liebe zu wecken und zu verlebendigen. Das kann geschehen im Einzel- und Gruppengespräch, in Gottesdienst, Predigt und Vortrag, in Einkehrtagen und Exerzitien, aber auch in Tagungen und Konferenzen.“
Papst Johannes XXIII.:
„Ich bin nicht dazu da, die Kirche zu leiten, sondern zu entdecken, wo der Hl. Geist in der Kirche wirksam ist, damit wir in sein Wirken einsteigen können.“

Es gibt heute manches zu beklagen, aber darüber dürfen wir nicht vergessen, einen Blick dafür zu haben, daß Gottes Geist auch heute noch wirksam ist, wenn auch oft unscheinbar und nicht so spektakulär für alle Welt.

Im nächsten Monat werde ich in Martini noch die notwendigsten Aufgaben übernehmen, ansonsten mich aber in meine neue Aufgabe „als Bezirksvikar für das Bischöfliche Kommissariat für den Niederrhein“ einarbeiten. Ich schließe mich der Bitte des Paulus an die Gemeinde in Kolossä an: „Betet auch für uns, damit Gott uns eine Tür öffne für das Wort und wir das Geheimnis Christi predigen können.“ (Kol 4,3)

Abschied von Münster Collegium Borromaeum 1992

 

Abdankung (1)

 

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Anläßlich meines Goldenen Priesterjubiläums 2014 habe ich hier in Billerbeck einen Vortrag gehalten mit dem Thema „Warum ich in der Kirche bin und bleibe“.

Nun liegt mein Goldenes Priesterjubiläum bereits 5 Jahre zurück. Was hat sich in den über 50 Jahren alles in der Welt und auch in der Kirche getan. Ich lebe von der Hoffnung, daß sich auch weiterhin etwas tut.