16.2.2023

Armut

Man kann die Bergpredigt (Mt 5,1-7,29) nicht zum Gesetz machen, dennoch gilt der evangelische Rat der Armut nicht nur für Ordensleute, sondern für alle. Jeder muß ihn auf seine ihm eigene Weise verwirklichen.

Das ist ein lebenslanger Prozeß; denn menschliches Leben vollendet sich nur in der Armut. Der Himmel läßt sich nicht verdienen, sondern er ist ein Geschenk.

Damit der Prozeß in Gang kommt, braucht es bestimmte Voraussetzungen. Verzichten und Loslassen setzen eine gewisse Ichstärke voraus, deswegen darf

Armut nicht zu früh ansetzen. Erst wenn ich etwas besitze, kann ich es auch loslassen. Es geht nicht um die Frage, was darf ich haben und was nicht, sondern um ein Angesprochensein von Christus her.

Evangelische Armut ist nicht nur materielle Armut, aber sie ist auch nicht eingeengt auf die Armut im Geiste. Es geht um ein Freisein sowohl im Überfluß als auch in Armut. Armut ist kein Selbstzweck, sie ist nur zu begreifen auf dem Hintergrund der Liebe.

Armut ist Verzicht auf Lohn- und Verdienstdenken, sie ist Lobpreis auf den schenkenden Gott. Der Verzicht ist keine Last, sondern Geschenk eines Liebenden. Armut ist die Haltung der leeren Hände im Gegensatz zu den beschäftigten Händen des Reichen.

Armut ist mehr als düstere Aszetik, mehr als Willenstraining, mehr als der Versuch, eigene Bedürfnisse in den Griff zu bekommen. Sie ist auch mehr als eine Fastenkur oder als das Bemühen, sich unempfindlich zu machen gegen Gier.

Armut ist keine Abwertung der Welt und nichts Aufgezwungenes.

Armut ist Mut zu den Armen. Sie haben ein Recht auf Liebe; zu ihnen kommt Jesus Christus zuerst. Es geht um Gemeinsamkeit mit den Bedürftigen und zwar nicht nur um das Teilen von Brot, sondern auch von Zeit, und vor allem darum, sie gelten zu lassen. Gefragt ist gelebte Solidarität. Das verlangt auch Verfügbarkeit für bestimmte Aufgaben. Es gilt, abzukommen vom Versorgungsdenken, anspruchslos zu sein und einfach zu leben, was aber in keiner Weise Kulturlosigkeit bedeutet.

Siehe auch „Die Evangelischen Räte“.