
13.11.2018
Bekleiden – Kleider als Schutz
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Mensch und Tier in Bezug auf das „Kleid“ ist, daß das Tier nichts von seinem „Kleid“ weiß und der Mensch es als Schutz trägt.
Mag auch unsere Haut – unser Geburtstagskleid – unser schönstes Kleid sein, so läßt sich damit doch nicht überall auf der Erde leben. Als die Menschen auf Erden Regionen besiedelten, die nicht das ganze Jahr über ein gleichmäßig warmes Klima hatten, mußten sie sich schützen, nicht nur gegenüber Kälte in kalten Gebieten, sondern auch gegen übergroße Hitze in der Wüste. So wurde Kleidung als Schutz vor Witterung notwendig.
Rein physisch gesehen braucht der Mensch Kleidung auch als Schutz vor Verletzungen; dabei kommt es nur auf die Funktion an, weniger auf das Aussehen. Die Kleidung dient als Brücke zwischen dem nackten, verwundbaren menschlichen Leib und der Umwelt. Die Haut des Menschen ist sehr empfindlich, das fängt bei den Füßen an. Eine Legende erzählt, daß ein König sein ganzes Reich mit Fellen auslegen lassen wollte, daraufhin gab ihm ein Weiser den Rat, es sei einfacher, jeden Fuß mit einem Fell zu umwickeln. Im Paradies des Domes in Münster ist Bartholomäus der einzige Apostel, der Fußkleidung trägt, daher gilt er unter anderem auch als Patron der Schuhmacher.
Bei vielen Berufen ist Schutzkleidung notwendig. Haut und Kleidung sind nicht nur Schutzdecke für unseren Leib, sie haben auch großen Einfluß auf unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit, deshalb gilt lockere Kleidung als erstes Gebot; denn was wärmt, ist nicht der Stoff, sondern die Luftschicht zwischen Haut und Kleidung. Enge Kleidung wirkt psychologisch als Ritterrüstung, weil sie das Sichabschirmen gegenüber der Außenwelt körperlich spürbar macht.
Ein eher psychischer Grund für das Anlegen von Kleidung ist, daß der Mensch seine Blöße aus Schamhaftigkeit verhüllen möchte. So bedecken wir in unseren Breiten 90% unserer Körperfläche. Die Kleidung wirkt Tag und Nacht auf uns ein, sie dient uns als zweite Haut. Sie kann ihre Aufgabe aber nur erfüllen, wenn ihre Eigenschaften denen der natürlichen Haut entsprechen.
Sich kleiden heißt sich zeigen, die anderen sollen uns so sehen, wie wir gerne wären, aber es naturgemäß nicht sind. Kleidung betont oder unterdrückt bestimmte Partien des Leibes, sie korrigiert und stilisiert, sie schafft eine optische Veränderung der Figur in Größe und Umfang. Tiere leben in einer unveränderlichen Haut, das Fell paßt sich meist der Jahreszeit entsprechend an, der Mensch aber schafft sich sein je besonderes Kleid. Manche Menschen empfinden sich unbekleidet nicht als besonders schön. So bestand unter anderem die Aufgabe der Schneider auch darin, ihre Kunden zu verschönern. Kleidung hilft, nach außen eine gute Figur zu machen, selbst wenn der sie tragende Mensch keine gute Figur hat. So werden zum Beispiel breite Schultern oder schmale Hüften, die gar nicht vorhanden sind, suggeriert. Der Weg durch die Mode führt von der Nacktheit als biologischem Urzustand zur Nacktheit als raffinierter Form des Angezogenseins.
Das rituelle Kleid hat den Sinn, den Träger vom Profanen abzutrennen und ihn mit den sakralen Kräften zu vereinen. Eine Kopfbedeckung soll ursprünglich vor den Einwirkungen gefährlicher Mächte schützen, diese Aufgabe hat zum Beispiel auch der sogenannte Himmel, den man bei der Fronleichnamsprozession über dem Allerheiligsten trägt. Der Priester zieht, wenn er die Meßgewänder anlegt, sein Schultertuch ursprünglich über den Kopf, die Mönche tun dasselbe beim Psalmenbeten mit ihrer Kapuze, und der Bischof trägt bei wichtigen Funktionen seine Mitra. Die männlichen Juden setzen eine Kopfbedeckung auf, wenn sie die Synagoge betreten. Auf alten Bildern ist zu sehen, daß Abraham oder auch Engel, die vor Gott stehen, verhüllte Hände haben. Aber auch das Enthüllen ist ein Zeichen von Ehrfurcht, zum Beispiel wenn Mose am brennenden Dornbusch seine Schuhe ausziehen soll (vgl. Ex 3,5) oder wenn die Christen ihren Hut absetzen, wenn sie einen Gottesdienstraum betreten. Eine außerordentliche Kraft besitzt Kleidung, wenn sie eine Reliquie ist. So schützt zum Beispiel der Schleier der heiligen Agatha vor dem Ausbruch des Ätna, beziehungsweise vor der vernichtenden Kraft der glutflüssigen Lava.
Kleidung kann vor Unheilsmächten schützen, und sie kann tarnen, so daß feindliche Mächte ihr Ziel nicht erkennen, einem derartigen Schutz dienen auch Maskierungen und Tätowierungen. Henker trugen eine Kapuze, ursprünglich aus Angst vor der Ansteckungsgefahr des Bösen. Witwen trugen einen Schleier, um sich vor den Angriffen der Toten zu bewahren, und der über Schulter, Brust und Augen fallende Schleier der Jungfrauen schützte vor begehrlichen Blicken.
Brauchen wir Schutz? Welchen Schutzeffekt gibt uns heute unsere Kleidung?