30.10.2022

Blinde Menschen

Blinde Menschen sind ebenso einmalig wie alle anderen. In der Regel haben von Blindheit Betroffene, sei es, daß sie von Geburt aus blind sind oder es im Laufe ihres Lebens geworden sind, gelernt, ihr Leben im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu gestalten. Auf Grund ihres ausgeprägten Tastsinnes können sie sich in einigen Bereichen besonders wirksam betätigen, so zum Beispiel bei der Massage oder auch beim Ertasten von Knoten in der Brust.

Etwa 20.000 Menschen in der Bundesrepublik sind an dem unheilbaren Augenleiden Retinitis Pigmentosa erkrankt. Ihnen droht die Erblindung.

Die Bibel berichtet im Johannesevangelium (Joh 9) von der Heilung eines Blindgeborenen durch Jesus. Es ist die figuren- und szenenreichste Wundergeschichte des neuen Testamentes.

Viele blinde Menschen entwickeln mit Hilfe der anderen Sinne besondere Fähigkeiten; denn ihr Tastsinn wird feiner und ihr Gehör schärft sich.

Siehe Mit den Händen sehen.

Wer früh geübt hat, das fehlende Augenlicht auszugleichen, wird über Redewendungen lächeln, die unsere Sprache mit Blindsein verbindet: „Blind ergeben sein, zum blinden Werkzeug werden, blindlings gehorchen.“

Neben den weltweit verbreiteten Blindenhörbüchereien gibt es zahlreiche Möglichkeiten für Blinde, das Internet mittels Computer, Smartphone oder Tablet zu nutzen.

 

DER BLINDE HIRTE

Johannes Rosenmöller:

Ein Kind hatte den alten Mann bei der Hand genommen und ihn zu dem geführt, der KIND werden wollte in Armut.

Ganz selbstverständlich ist dem Blinden die Haltung des Niederknieens, das Sich-Beugen vor Geheimnissen. Sein Gesicht ist gesammelt, wie nur Blinde nach innen gewendet sind - und Menschen, die noch die Augen zu schließen vermögen. Der innere Blick des alten Hirten ist dorthin gerichtet, wo er im tiefsten Ihm begegnet, welcher der Emmanuel, der „Gott mit uns“ sein wollte.

Stets neugierige Augen sehen nichts. Ein Denken, das haschend immerfort zu Neuem eilt, findet nichts. In der Tiefe jedoch „weiß“ ein Mensch, was nur der Ehrfurcht sich erschließt.

Auch ohne sprechende Augen hat der Hirte ein erfülltes, von Frieden überströmtes Gesicht. Hier leuchtet jene Größe auf, die sich der Schlichtheit verbindet.

Und schlicht, gar nicht großartig, ist auch die Geste seiner Hand, welche nur lose die Gabe noch hält: als warte der Blinde, sie möge, wenn sie gefallen sollte, angenommen werden.

Den blinden Hirten führt ein Kind. Die Augen seines Verstandes sind noch nicht recht geöffnet.

Aber weil Kinder es oft mehr als Erwachsene vermögen, Geheimnisse in der Tiefe ihres unverfälschten Herzens zu „verstehen“, führt nun der Blinde dieses Kind in das „Schauen“. Das kleine Gesicht ist still und lauschend. Die Füßchen zueinander gekehrt, die Arme fest auf gestützt, will das Kind wie Erwachsene „nachdenken“.

Tröstlich ist die Einheit zwischen diesen beiden Menschen: die Anmut des kleinen Mädchens und die Weisheit des in Anbetung versunkenen Hirten, der dem Kind Halt und Geborgenheit schenkt. Die Augen des Mädchens haben den Blinden zum Stall geführt, weil sie sehen können. Und er hat das Kind hingeleitet zu Jesus, da er mit dem Herzen ,,sieht“.

So wird vieles nur den Blinden geschenkt: denen, die sich führen lassen. Inneres Erfülltsein nur gegeben in der Armut des Stalles. Und manches Licht leuchtet nur auf in der Dunkelheit.

Wie dieses Kind sollten wir einbezogen sein in die Versunkenheit des blinden Hirten, in seine Ehrfurcht, sein schlichtes Betroffensein. Wir sollten die Augen schließen. Das Sehen mit leiblichen Augen nutzte auch in Betlehem nichts. Nur dem inneren Schauen offenbarte sich die göttliche Wirklichkeit des Kindes in der Krippe.

Gott, nimm von uns die Blindheit unseres Herzens: das Gefangensein unseres Blickes, der bei uns selbst stehenbleibt. In lumine tuo videbimus lumen. ,,In Deinem Licht schauen wir das Licht.“ Laß uns die Welt sehen mit Deinen Augen, die Menschen mit Deinem Verstehen, die Dinge in ihrer Transparenz; wie sie Bild sind für göttliche Mysterien - und hindeuten auf sie. Laß uns mit Deinen Augen aber auch uns selbst sehen: trotz unserer Schwächen unendlich geliebt von Dir.

 

Predigt in Billerbeck am 30.10.2022

Sonntag im Jahreskreis C
Erste Lesung: Weish 11,22-12,2
(Zweite Lesung: 2 Thess 1,11-2,2)
Evangelium: Lk 19,1-10

In Jericho wohnte ein reicher oberster Zollpächter mit Namen Zachäus. Er war neugierig und wollte Jesus sehen. Da er aber klein von Gestalt und die Menschenmenge groß war, kletterte er auf einen Maulbeerfeigenbaum. Und das geschah nicht ohne Erfolg.

Hieran wird deutlich, wie wichtig ein Baum sein kann. Im Markusevangelium heißt es bei der Heilung eines Blinden: „Der Mann blickte auf und sagte: Ich sehe Menschen; denn ich sehe etwas, das wie Bäume aussieht und umhergeht.“ (Mk 8,24) Wie ein Baum sollten wir sein, fest verwurzelt in der Erde und ausgestreckt gen Himmel. Bäume sind aus dem menschlichen Leben nicht wegzudenken. Alte Bäume entführen uns in die Vergangenheit. Sie waren schon da, als wir noch Kind waren.

Vom Baum des Lebens und der Erkenntnis im Paradies (vgl. Gen 2,9) am Anfang der Heiligen Schrift bis zum Baum des Lebens (vgl. Offb 22,19) am Ende der Heiligen Schrift, versinnbildlicht der Baum den Lebensweg des Menschen.

Jeder Baum ist auch heute noch ein Baum des Lebens und der Erkenntnis; denn in jedem rauscht der ewige Quell des Lebens, und jeder Baum verkündet dessen ewige Gesetze. Wofür lebt der Baum? Für seine Früchte! Er macht sie saftig und süß, so daß Menschen und Tiere sie verbreiten.

Fachleute sagen: „Stirbt der Baum, dann stirbt der Mensch.“ Die Klimaveränderung schadet nicht nur uns Menschen, sondern auch der Natur. Doch selbst ein an sich toter Baum lebt noch. In meiner Heimatstadt Kleve sagte der Förster Hanns-Karl Ganser bei seiner Verabschiedung: „Im Wald hat nämlich auch der Tod einen Sinn. Totholz ist für Pflanzen und Tiere von enormer Bedeutung. Denn es steckt voller Leben.“

Die Indianer nennen die Bäume ihre Brüder. Sowohl Kinder als auch Erwachsene umarmen Bäume wie ihre Geschwister. Laut einer Legende durfte Adam bei der Vertreibung aus dem Paradies einen Zweig des Lebensbaumes mitnehmen. Er pflanzte ihn ein, und es wuchs ein Baum heran, aus dessen Holz man sowohl die Krippe als auch das Kreuz gefertigt hat.

An der Art, wie jemand einen Baum zeichnet, läßt sich seine Charakterstruktur ablesen. Nicht nur in Träumen vom Baum spiegelt sich das Selbst eines Menschen wider, sondern auch in Baumzeichnungen. Der Baum ist das Bindeglied, das unsere Welt im Innersten zusammenhält und unser Leben ermöglicht. Aufzeigen läßt sich das an den vier Elementen Luft, Wasser, Erde und Feuer. Der Baum wurzelt in der Erde, saugt das Wasser auf und ragt mit seiner Krone in die Luft empor. Er entnimmt aus jedem Element einen Teil für seine Kraft. Aus der Luft verwandelt er durch sein Blattgrün mit Hilfe des Feuers, dem Licht der Sonne, Kohlendioxid in Sauerstoff, das Lebenselixier für alle irdischen Lebewesen.

Der Baum hat Zachäus geholfen, Jesus nahezukommen. Der Zollpächter wurde ein anderer Mensch. Was könnte uns jetzt in dieser Kirche helfen, Jesus innerlich nahezukommen und verändert nach Hause zurückzukehren?

Lassen wir diesen Gedanken einen Moment in Stille unser Herz bewegen!