
7.10.2020
Bombenangriff auf Kleve am 7. Oktober 1944
Was wäre gewesen, wenn ich am 7. Oktober 1944 unter den Trümmern des Hauses begraben worden wäre, aus dem ich durch ein Kellerfenster heil herauskriechen konnte?
Dieser Tag war ein Tag des Schreckens für die Stadt. Gegen 13.40 Uhr zerstörten 335 englische Bomber innerhalb von 30 Minuten 80% der Bebauung. 1728 Tonnen Spreng- und 90 Zentner Brandbomben gingen auf den Kern der Stadt nieder. Dabei fanden 649 Menschen unter den Trümmern den Tod, unter ihnen Propst Jakob Küppers und der Kaplan der Unterstadtkirche Johannes Smeets.
Friedrich Gorissen:
Gewaltiger Feuerschlag vernichtete das alte Kleve
Ein einziges Bombergeschwader vernichtete am 7. Oktober 1944 kurz nach Mittag mit einem gewaltigen Feuerschlag die alte Stadt Kleve. Die Schwanenburg wurde hart getroffen, ein viermotoriger Bomber fiel im Absturz auf den Schwanenturm und nahm dessen Oberbau mit in die Tiefe. Die beiden Türme der Stiftskirche sanken in sich zusammen und zerschlugen die Gewölbe der Kirchenschiffe. Die Fassade der Reformierten Kirche [auf der Großen Straße] ragte einsam aus dem Schutt der Altstadt hervor. Von den barocken Patrizier- und Bürgerhäusern war nicht eines erhalten geblieben. Das schöne Heimatmuseum, zuletzt in einem Landhaus des 17. Jahrhunderts an der Linde untergebracht, war zerstört und ausgeplündert. Das Stadtarchiv konnte zum größten Teil geborgen werden; die zugehörige Bibliothek indessen erlitt in den ersten Nachkriegsjahren durch Plünderung und Verwahrlosung erhebliche Verluste. Die reiche und alte Bibliothek des Klever Stiftes, noch Mitte der dreißiger Jahre geordnet, brannte vollständig aus. Das Stiftsarchiv, in einem Seitenbau der Stiftskirche untergebracht, ging mit seinem ganzen Aktenbestand verloren; erhalten – wenn auch beschädigt – blieben die meisten Urkunden. Die Kunstwerke, soweit sie sich in der Kirche befanden, wurden zerstört. Die Trümmer der Altäre blieben durch die Sorge des britischen Kunstschutzoffiziers Ronald Balfour vor weiterer Vernichtung bewahrt.[1]
[1] Friedrich Gorissen: Gewaltiger Feuerschlag vernichtete das alte Kleve. In: Stadt Kleve, 7. Oktober: Der Tag, an dem Kleve in Schutt und Asche versank, Kleve 1960: 19
Bernhard Baak:
In einer halben Stunde vernichtet, was in Jahrhunderten aufgebaut
Als das große Verhängnis über Kleve hereinbrach, am 7. Oktober 1944, hatte nach einer überschläglichen Schätzung etwa ein Drittel der Bevölkerung die Stadt verlassen. Der Angriff geschah um die Mittagsstunde, als die Straßen fast menschenleer waren. In einer halben Stunde wurde vernichtet, was in Jahrhunderten gebaut worden war. In diesem und den folgenden Angriffen, die eine fast menschenleere Stadt trafen, fanden viele den Tod; über 500 Tote wurden beim Standesamt registriert, ohne die, von denen niemand weiß. Wer den Angriff vom 7. Oktober erlebt hat, wird das wüste Bild nicht vergessen, das sich dem Auge darbot, als verstörte Menschen aus den Kellern und den Ruinen ihrer Häuser hervorkrochen und um sich nichts anderes als Ruinen erblickten in einer gespenstischen, von dichtem schmutziggrauem Trümmerstaub überzogenen Landschaft. Die aus der zerstörten und an vielen Stellen brennenden Stadt ostwärts flüchtenden Menschenmassen mußten oft beträchtliche Umwege machen, da die wie Kraterlandschaften anmutenden Straßen nicht gangbar waren.[1]
[1] Bernhard Baak: ebd.
Paul Hohstadt:
Als die Hölle hereinbrach – Ein Augenzeuge überlebt im Hause Karl Leisners die Zerstörung von Kleve
[...]
Am Samstagvormittag des 7. Oktober stand ich auf dem Turm der Ölmühle [bei Spyck] und schaute über das von Aufklärungsfliegern umflogene Klever Land. Von Unruhe gepackt und Unheilvolles ahnend holte ich zu Hause mein Gepäck und eilte unter Tieffliegergeschossen in die Oberstadtwohnung meines Schwagers [Erwin Nielen]. Kaum in der Flandrischen Straße angelangt, zogen plötzlich dunkle Geschwader über die Stadt. Während unseres Skatspiels im [Luftschutz-]Keller [von Familie Wilhelm Leisner] heulten um halb zwei sämtliche Sirenen. Kurz darauf begann ein fürchterliches Bombardement. In Ergebung des Todes wie er uns auch treffen mochte, mit all seinen Ängsten und Schmerzen, haben wir während des sinnlosen Angriffes betend bei der Gottesmutter Schutz gesucht, als der Hölle Nacht über uns stürmte. Gottdank hatte das Haus W. L. [Wilhelm Leisners] keinen Volltreffer bekommen, so daß alle 17 Personen wie durch ein Wunder gerettet wurden (Kirche + Leben vom 11.10.1964).
Über den Bombenangriff auf Kleve am 7. Oktober 1944 von Kaplan Albert Heistrüvers
Heitrüvers_Küppers
* * * * *
Hans-Karl Seeger
Im Rückblick auf diesen Tag vor 76 Jahren in Kleve erinnere ich mich sehr intensiv an die Vergangenheit. Mein Alter läßt mich aber auch an die Zukunft denken. Im Priesterseminar verordnete uns der Regens, am Freitag eine Besinnungsübung zu machen unter dem Thema „Der Priester in seinem Sarg und der Umstand“. Wir sollten uns vorstellen, was die Beerdigungsteilnehmer (Umstand) über uns denken. Im Alter wird mir deutlich, was der Regens beabsichtigt hat.
Zurückblickend auf mein Leben, erkenne ich, welche Wirkung ich gehabt habe, wo ich zum Beispiel Menschen geholfen habe und wo ich etwas schuldig geblieben bin, aber auch, wo mir jemand Böses gewollt hat, was sich aber im nachhinein doch wie beim ägyptischem Josef als gut herausgestellt hat: „Ihr habt Böses gewollt und Gutes erreicht“ (vgl. Gen 50,20). Mein Wunsch ist, mit allem ausgesöhnt zu sein.
Ich erlebe eine Zeit, in der es mir sehr gut geht. Um mich herum erfahre ich aber von Katastrophenankündigungen. Früher hatten die Menschen Utopien von einem besseren und schöneren Leben, heute sind die Medien voll von Dystopien mit Weltuntergangsstimmung. Die Gefahr ist groß, daß ich mich davon anstecken lasse, und manchmal bin ich froh, daß ich schon so alt bin, obwohl ich schon viele Jahre in einem Wohlstand lebe, wie ich mir das nach dem Angriff auf Kleve nicht hätte vorstellen können. Aber der Glaube an das Kommen des Reiches Gottes schafft neues Leben.
Mein Glaube sagt mir, daß das Beste noch kommt, wenn im Sterben die Schleier fallen und ich die Wirklichkeit der Transzendenz, die mich jetzt schon umgibt, erfahren darf, indem mir Gott, dessen Mitmirsein ich vor allem jetzt im Alter vermehrt spüre, dann so nahe ist, daß ich ihn auch sehen kann.
Alfred Delp (1907-1945) wurde im Gefängnis klar, daß die Grausamkeit, die heute die Erde schlägt, zunächst im menschlichen Herzen zu Hause war und von daher den ganzen Kosmos ergriff.
Ich lebe nach der chinesischen Weisheit: „Eine Generation pflanzt die Bäume, eine andere genießt den Schatten.“ In Anbetracht des Klimawandels und vieler weiterer Herausforderungen wünsche ich den nachfolgenden Generationen, daß auch sie noch in einem solchen Schatten leben dürfen!
Lassen wir unser Herz von Gott mit seiner Liebe erfüllen!
Siehe auch „Vor 70 Jahren – 7. Oktober 1944 im KZ Dachau und in Kleve“.