
5.9.2019
Brot für den Tag 23
Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? (Mt 7,3)

Dienstag 30.7.1991
Wir Menschen möchten gut sein. Dadurch sind wir aber blind für unsere Fehler, die wir dann auf andere projizieren. Es geschieht der umgekehrte Effekt wie bei einem Diaprojektor. Hier wird ein kleines Dia als großes Bild auf eine Leinwand geworfen; wir aber projizieren einen eigenen Fehler von der Größe eines Balkens auf den Nächsten so, daß er als Splitter in dessen Auge erscheint, und diesen erkennen wir.
Forscher haben unter den Urvölkern nur friedfertige und liebenswerte Stämme finden wollen. Sie wurden oft von ihrem Wunsch, daß es solche gebe, geblendet. Wenn ein Forscher seine Wunschvorstellung auf das Objekt seiner Studien projiziert, dann geben die Resultate mehr über ihn selbst als über die Wirklichkeit Auskunft. Ein bekanntes Beispiel sind die Forschungen von Margret Mead, die Anfang des Jahrhunderts die vorgefaßte Meinung hatte, alle Generationsprobleme und Erziehungsschwierigkeiten seien umweltbedingt und Folge einer repressiven Gesellschaftsordnung. Sie wollte unter den Samoanern nur Menschen gefunden haben, die sich in heiterer Gelassenheit den Freuden des Lebens hingaben. Die Forschungsergebnisse waren einseitig. Derek Freeman nämlich hat in seinem Buch „Liebe ohne Aggression“ überzeugend dargelegt, daß auch unter den Samoanern, wie bei allen anderen Völkern, heftige Streitigkeiten und gewaltsame Auseinandersetzungen geschahen. Die Suche nach dem „edlen Wilden“ geht weiter.
Nur Dummköpfe können den Drang zum Bösen in sich übersehen. Erwachsene spüren den Widerstreit in sich.
Dem Menschen sollte zugestanden werden, daß er etwas falsch machen darf. Irren ist menschlich. Die Möglichkeit des Irrens schafft eine menschliche Welt. Irren ermöglicht gerade das Dazulernen.
Gebet:
Gott, laß mich auch die dunkle Seite meines Lebens erkennen und annehmen, damit ich sie nicht im Nächsten bekämpfen muß. Dein Erbarmen helfe mir.