26.2.2023

Bußandacht - gehalten 2011 im Billerbecker Dom

Nehmt Gottes Melodie in euch auf!

Es geht um die Freude über die Erlösung der ganzen Menschheit und jedes einzelnen von uns.

Der Pfarrer von Torcy sagt in dem Roman „Tagebuch eines Landpfarrers“ von George Bernanos dem jungen kranken Landpfarrer:
„Ich kann wahrhaftig nichts dafür, daß ich wie ein Totengräber herumlaufe, übrigens kleidet sich der Papst in Weiß und die Kardinäle in Rot. Von Rechts wegen müßte ich wie die Königin von Saba gekleidet einhergehen, denn ich bringe die Freude. Ihr könntet sie umsonst von mir haben, wenn ihr sie nur wolltet. Die Kirche verfügt über die Freude, über den ganzen Anteil von Freude, der dieser traurigen Welt beschieden ist.“

Ein Grund zur Freude ist, daß uns im Bußsakrament unsere Sünden vergeben werden, das Gute, das wir unterlassen und das Böse, das wir getan haben. Diese Bußandacht will helfen, uns auf eine Osterbeichte vorzubereiten.

Neben all den Vorbereitungen auf die Festtage sollten wir uns auch selbst bereiten für das Geheimnis der Menschwerdung Gottes in uns, des Gottes, der uns ins Dasein gerufen hat und damit zugleich einen Auftrag, besser eine Berufung, gegeben hat. Wir wollen uns besinnen und uns fragen, ob wir diesem Ruf gerecht geworden sind.

Die Aufgabe, die Gott uns zugedacht hat, läßt sich mit verschiedenen Bildern beschreiben. Wir wollen heute unser Gewissen erforschen, indem wir uns mit einem Musikinstrument vergleichen, auf dem wir die Melodie Gottes spielen. Das geht aber nicht, wenn das Instrument verstimmt ist.

Joseph von Eichendorff:
Schläft ein Lied in allen Dingen,
die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort.

Wir hören den Ruf:
„Nehmt Gottes Melodie in euch auf, die Melodie, die in euch erklingen soll, und damit in der ganzen Schöpfung!“

Wie werde ich zu einem klingenden Instrument?

Stellen wir uns eine Geige vor:
- ein Klangkörper
- kunstvoll, mit viel Geschick und Liebe bearbeitetes Holz
- klare und fein geformte Gestalt
- Reinheit einer durchdringenden Stimme

Sie spricht zu uns:
„Als ich im Wald lebte, habe ich geschwiegen;
nun, da ich gestorben bin, singe ich!“

„Was kann das Holz dazu, wenn es als Geige erwacht?“ (Arthur Rimbaud)

 

Was muß bei mir sterben, damit in mir das Instrument erwacht, durch das die Melodie Gottes erklingen kann? Sterben ist gemeint im Sinne von: „Was steht dem Anliegen, ein gutes Instrument zu sein, im Weg?“
Letztlich ist unsere Stimme, sind wir das wahre und angemessene Instrument zum Lobe Gottes. Was muß geschehen, damit ich ein wohlklingendes Instrument bin?

Früher gab es ein falsches Verständnis von Selbstverleugnung und Selbstlosigkeit. Ich kann erst selbstlos werden, wenn ich ein Selbst habe.

Selbst wenn ich alles, was ich an mir nicht mag, all meine Eigenheiten, unter denen andere zu leiden haben, verdränge und abspalte, sind sie aber trotzdem da.

Es gilt, sie zu integrieren und dadurch „heil(ig)“ im Sinne von „vollständig“ zu werden. So kann ich mich zur Verfügung stellen für Gottes Melodie.

Entsprechend diesem Bild besteht Sünde in der Verweigerung, die Melodie Gottes in mir aufklingen zu lassen. Wie werde ich ein Instrument, das dazu fähig ist?

Damit verbunden ist die Überlegung, ob ich überhaupt will, daß Gottes Melodie durch mich erklingt? Will ich nicht lieber selbst den Ton angeben?

Letztlich geht es um die Frage: „Kann ich mich lieben lassen, so wie ich bin, ohne so zu bleiben? Bin ich bereit, mich zu wandeln?“

Der verlorene Sohn im Gleichnis vom barmherzigen Vater konnte sich nicht lieben lassen. Erst als er völlig verstimmt war, weil ihm niemand das Schweinefutter zum Essen gab, konnte er die Liebe seines Vaters zulassen.

Eine Geige kann verstimmt sein. Wenn ich verstimmt bin, stimmt etwas nicht in meiner Beziehung zu Gott. Was kann mir in einer solchen Situation helfen? Ein Beichtgespräch ermöglicht, darüber zu sprechen, und damit die Geige neu zu stimmen, damit ich die Melodie erklingen lassen kann, die Gott für mich komponiert hat. Bei der Geige muß in der Regel, eine Saite gespannt werden. Es kann sehr anstrengend sein, bis der richtige Ton gefunden ist.

Eine sehr praktikable Gewissenserforschung ist eine Fragestellung bezüglich meiner Beziehung
- zu Gott
- zum Nächsten und zur Natur
- zu mir selbst

In obigem Bild gesprochen, kann es Schuld sein, meine eigene Melodie zu komponieren, anstatt die mir von Gott zugedachte zu spielen. Wo stimme ich ein in Gottes Melodie?
Im Gebet?
Im Stillewerden, um Gottes Stimme zu vernehmen?

Kleine Störstellen an der Geige verhindern die Schwingung des Holzes.
Wie kann ich sie beseitigen?
Bin ich im Einklang mit den Menschen, mit der Natur und mit mir selbst?
Wenn ich nicht gut gestimmt bin, wird dieser Einklang zum Mißklang.

Eine Familientherapeutin bestellte ihre Klienten ab, wenn sie selbst in ihrer eigenen Ehe-Beziehung unstimmig war.
Manchmal bringt ein Mensch Mißstimmung in eine Gruppe; das steckt an und bringt Verstimmung.
Bin ich selbst dieser Mensch, ein Querulant, so muß ich andere vor mir schützen und nicht meine Wut an ihnen auslassen.

Selbst die Natur spürt meine Unstimmigkeit. Eine Frau hatte ein Bäumchen gepflanzt im Andenken an ein totgeborenes Kind. Sie war in einer Krise und mit sich im Unreinen. Das Bäumchen wuchs nicht, sondern war wie tot. Sie änderte ihr Leben, zog um und nahm das Bäumchen mit. Nach wenigen Tagen begann es zu sprießen; denn sie war wieder im Einklang mit sich und der Natur.

Behandle ich die Natur mit Ehrfurcht?
Verstimmung tut nicht gut, dennoch ist uns manchmal zum Klagen zumute.
Wie verräterisch ist die Antwort auf die Frage: „Wie geht es?“, wenn sie lautet: „Ich kann nicht klagen.“
In der Psychologie gibt es die sogenannte Schreitherapie. Das bedeutet: Luft ablassen. Aus der Bibel kennen wir die Klagepsalmen.

Eine Folge der Bußandacht sollte sein, sich mit anderen zu verstehen und zu vertragen, zueinander zu finden, es sollte alles stimmen.

Die himmlische Musik
Märchen leben von der Vorstellung, daß die himmlische Musik voller Harmonie sei:
Im goldenen Zeitalter, vor langen Zeiten, standen die Tore des Himmels weit offen. Die Menschen konnten in den Himmel hineinsehen, und sie sahen all den goldenen Himmelsglanz. Das Schönste aber war die wundervolle Musik, die damals aus dem Himmel erklang. Der liebe Gott hatte dazu die Noten selber aufgeschrieben, und tausend Engel führten sie mit Geigen, Pauken und Trompeten auf. Wenn die Musik erklang, wurde es ganz still auf der Erde. Die Menschen lauschten der himmlischen Musik, und es wurde ihnen so wunderbar zumute, wie man das heutzutage einem armen Menschenherzen gar nicht beschreiben kann.
Aber dann muß etwas Schlimmes passiert sein. Denn eines Tages ließ der liebe Gott zur Strafe die Himmelstore schließen und sagte zu den Engeln: „Hört auf mit eurer Musik; denn ich bin traurig!“ Da wurden die Engel ebenfalls traurig und setzten sich ein jeder mit seinem Notenblatt auf eine Wolke, zerschnitzelten die Notenblätter in lauter einzelne Stücke und ließen sie auf die Erde hinunterfliegen. Der Wind zerstreute sie in alle Welt. Und die Menschen haschten sich jeder einen Schnitzel, der eine einen großen, der andere einen kleinen, und hoben sie sorgfältig auf und hielten die Schnitzel sehr wert. Es war ja etwas von der himmlischen Musik, die so wundervoll geklungen hatte. Aber mit der Zeit begannen sie sich zu streiten und zu entzweien, weil jeder glaubte, er habe das Beste erwischt. Zuletzt behauptete jeder, das, was er habe, sei die eigentliche himmlische Musik und das, was die anderen besäßen, eitler Trug und Schein. Wer recht klug sein wollte, machte hinten und vorne einen großen Schnörkel auf seinen Schnitzel und bildete sich etwas ganz Besonderes darauf ein. Jeder musizierte für sich, aber keiner konnte den anderen verstehen. Dabei hätten sich die Menschen zusammentun können und schauen, welche Noten zusammen eine gute Melodie ergäben. Aber nun müssen die Menschen warten, bis am Jüngsten Tag der liebe Gott die Engel all die Papierschnitzel seines himmlischen Notenbuches wieder einsammeln und alles wieder zusammensetzen läßt, damit die himmlische Musik wieder erklingen kann.
(nach Richard von Volkmann-Leander)

Wir sind in Gefahr, Notenschnipsel für das Ganze zu halten. Wir malen vorne einen Violinschlüssel hin und hinten einen Schlußstrich und bilden uns ein, die himmlische Musik zu haben. Ziel aber sollte sein, uns mit anderen zu verstehen und zu vertragen, zueinander zu finden - es sollte alles stimmen.

Vielleicht entdecke ich jemanden, der auch so einen Schnipsel hat, einen, der genau zu meinem paßt, und schon wird es himmlischer.

Der Film „Wie im Himmel“ zeigt auf eindringliche Weise, wie himmlisch es sein kann, wenn jeder Mensch seine Schwingung zu einem großen Zusammenklang einbringt.

Sie haben am Eingang des Domes einen kleinen Gegenstand bekommen: einen Violinschlüssel, einen Baßschlüssel oder ein oder zwei Sechszehntelnoten. Stellen Sie sich vor, daß Sie Teil einer großen Komposition sind. Was müssen Sie tun, was lassen, damit diese Komposition gut erklingen kann? Vielleicht erinnert Sie dieser kleine Gegenstand daran, vor dem Fest noch eine Gelegenheit wahrzunehmen, Ihr Instrument stimmen zu lassen.

Johannes Bours:
„Nehmt Gottes Melodie in euch auf“
Ignatius von Antiochien (gest. 107) an die Gemeinde in Ephesus
In dem Brief, den Ignatius an die Gemeinde von Ephesus schreibt, kommt ihm das Bild in den Sinn, diese Gemeinde mit einem großen Chor zu vergleichen. Er schreibt: „Nehmt Gottes Melodie in euch auf. So werdet ihr alle zusammen zu einem Chor, und in eurer Eintracht und zusammenklingender Liebe ertönt durch euch das Lied Jesu Christi. Das ist das Lied, das Gott, der Vater, hört - und so erkennt er euch als die, die zu Christus gehören.“ [...]
Ignatius hat die Vorstellung, daß Gott für jeden eine Stimme, eine Lebensmelodie hat. Und wenn jeder die ihm zugedachte Melodie Gottes wirklich hört und in sich aufnimmt, dann wird der Zusammenklang aller Stimmen eine Symphonie.
Manchmal geht einem den ganzen Tag eine Melodie durch den Kopf. Können Sie sich dasselbe auch für einen Bibelvers vorstellen?
Für den Komponisten Jonathan Harvey ist die Musik „die spirituellste aller Künste.“

Martin Luther hält es für wichtig, „den Text lebendig“ zu machen. „So sie's nicht singen, glauben sie's nicht.“
Was ist Gottes Melodie für mich?
Wir haben zu Beginn den Psalm 150 erklingen lassen:
Halleluja! Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobt ihn in seiner mächtigen Feste! Lobt ihn für seine großen Taten, lobt ihn in seiner gewaltigen Größe! Lobt ihn mit dem Schall der Hörner, lobt ihn mit Harfe und Zither! Lobt ihn mit Pauken und Tanz, lobt ihn mit Flöten und Saitenspiel! Lobt ihn mit hellen Zimbeln, lobt ihn mit klingenden Zimbeln! Alles, was atmet, lobe den Herrn! Halleluja!
Lernen wir, abgestimmt auf unser Leben, zusammenzuklingen, so unterschiedlich und ähnlich wir auch sind.

Gebet
Guter Gott, wir sprechen von einer Sphärenharmonie oder Sphärenmusik und sind überzeugt, daß deine Schöpfung im Einklang mit dir ist. Unser freier Wille gibt uns Menschen die Möglichkeit, unsere Erde mit Mißklang zu erfüllen.
Wir wollen uns einstimmen in deine Melodie und sie in unserem Leben erklingen lassen.
Verzeihe uns unsere Verstimmtheiten, verzeihe uns den Mißklang, den wir in unser Leben bringen.
Stimm du uns ein in deine Harmonie.

Vergebung
Da Gottes Liebe keine Grenzen kennt und er unseren Willen zur Umkehr sieht, erbarme er sich unser.
Der allmächtige und barmherzige Gott lasse uns die Sünde nach und führe uns ins ewige Leben.