
28.5.2021
Christliche Mystik
Eine Revolution in der Kirche geschähe, wenn die Mystik einen höheren Stellenwert bekäme.
Gerhard Ruhbach, Josef Sudbrack
„Christliche Mystik“
Texte aus zwei Jahrtausenden
Verlag C.H. Beck 1989
Link zum Buch
Martin Buber (1878-1965) wurde von einer Veränderung ergriffen und schrieb:
„Darnach wurde ich im Geiste erhoben und fand mich ganz innen in Gott in einer anderen Weise, die ich nie erfahren hatte.“
Karl Rahner (1904-1984) wies 1966 darauf hin, daß zur Frömmigkeit von Morgen die Mystik gehört.
In der Vergangenheit des Christentums ist die mystische Erfahrung im christlichen Leben als bleibende Möglichkeit aufzuzeigen. Nicht behandelt ist in dem Buch die vor- und außerchristliche Mystik.
Ich vertrete die Meinung, daß im Menschen, als er zu Bewußtsein kam, eine Ahnung von einer höheren Wirklichkeit aufkam, die die Verehrung von Göttern nach sich zog, woraufhin die Religionen entstanden. Es ist mir unverständlich, warum die Religionen darüber streiten, wer das Richtige über die Transzendenz, die wir Gott nennen, verkündet. Selbst innerhalb einzelner Religionen schwelt dieser Streit, wie zum Beispiel unter den zahlreichen christlichen Ausrichtungen oder im Islam zwischen Sunniten, Schiiten und Aleviten.
In seinem dramatischen Gedicht „Nathan der Weise“ erzählt Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) die „Ringparabel“.
In dieser Geschichte geht es um eine Familie, in deren Tradition ein besonderer Ring vom Vater an den jeweils liebsten Sohn vererbt wird. Der Träger des Rings – eine demütige Haltung vorausgesetzt – ist beliebt bei Gott und den Menschen. Ein Vater jedoch, der drei Söhne hat und alle gleichermaßen liebt, kann sich nicht entscheiden, an welchen der Söhne er den Ring vererbt. Deshalb beschließt er, von dem Ring Duplikate anzufertigen. Dann verteilt er die identischen Ringe an die Söhne. Nach dem Tod des Vaters kommt es zu einem Streit zwischen den Brüdern, welcher der echte Ring sei. Der angerufene Richter weigert sich ein Urteil zu sprechen. Er sagt vielmehr, jeder solle seinen Ring als den »wahren« ansehen, denn alle spiegeln die Liebe des Vaters wider. So sei es auch mit den Religionen.
Quelle: Nathan der Weise • Zusammenfassung auf Inhaltsangabe.de
Wenn wir von Gott sprechen, gleichen wir den Blinden, die einen Zirkus besuchen und einen Elefanten berühren dürfen. Als sie wieder nach Hause kamen, fragten die Daheimgebliebenen, was sie erlebt hätten, und sie sagten: „Wir wissen jetzt, wie ein Elefant aussieht.“
Für mich ist das globale Ereignis von Corona eine Botschaft an die gesamte Menschheit, endlich allen Zank und Streit aufzugeben. Die Religionen sollten diesbezüglich ein Vorbild sein. Da in der polaren Schöpfung Gegensätze wie Tag und Nacht eine Einheit bilden, kann es sein, daß eine Religion einen Schwerpunkt betont, das Gegenteil aber auch gelten läßt. Oberflächlich betrachtet, scheinen Christentum und Buddhismus äußerst gegensätzliche Anschauungen zu vertreten. Die Christen glauben an einen Gott, wohingegen die Buddhisten keinen Gott haben. Wenn man den scheinbaren Gegensatz aber nicht vom Glaubenswissen, sondern von der Glaubenserfahrung her betrachtet, sind sich beide Religionen nicht so unähnlich, sondern ergänzen einander.
Im Sterben erleben wir, was wir nicht beschreiben können. Wir Christen erwarten, Gott von Angesicht zu Angesicht zu schauen (vgl. 1 Kor 13,12); die Buddhisten stellen sich vor, wie ein Salzmännchen im Wasser aufzugehen und damit im ALLEINEN.
Als Kinder hat man uns die Beziehung zu Gott vermittelt, als sei er unser Gegenüber. Vor allem im Alter wurde mir klar, daß er auch in uns ist. Auf die Frage: „Warum können wir Gott nicht sehen?“, fand ich die Antwort: „Weil er uns zu nah ist.“ Gott ist in uns, und wir sind in ihm.
Daß ich das schon als Jugendlicher mit 14 Jahren gewußt habe, ließ mich erkennen, daß alles schon in uns ist, wir diesem aber die Möglichkeit bieten müssen, sich uns zu offenbaren, und daß wir nicht als Besserwisser behaupten sollten, es erfunden zu haben. Wir müssen Gottes Sprache erlernen um zu erfahren, wodurch er mit uns spricht.