19.6.2020

Christo stützt meine Vorstellung von Transzendenz

Ich bin der festen Überzeugung, daß ich im Sterben nicht durch ein Tor in den Himmel gehe, sondern die Schleier fallen und ich die Wirklichkeit der Transzendenz, die mich jetzt schon umgibt, erfahre. Denn wir leben in Gott, und Gott lebt in uns, wie es uns die Mystiker bereits seit Paulus vielfach bezeugen. Wir sind kein Gegenüber von Gott, und er ist kein Gegenüber von uns. Das ist nicht zu begreifen, aber wir dürfen es glauben. Glauben ist mehr als Wissen.

CHRIST IN DER GEGENWART Nr. 24 vom 14. Juni 2020 brachte unter der Überschrift „Vorhang verheißt, Vorhang zerreißt“ einen Artikel des Theologen und Literaturwissenschaftlers Markus Barth.

Der Vorhang der Welt – der Vorhang des Heiligen
Verstecken, verhüllen und enthüllen – so hat der Künstler Christo mit seinen Werken die Menschen ein neues Sehen gelehrt ins Hintergründige, Inwendige, Wesentliche. 1972 ließ er zwischen zwei Berghängen in Colorado einen Sichtschutz anbringen, der den Fuß der Rocky Mountains verdeckte. Kurz nach Fertigstellung kam ein Sturm auf, so dass der Vorhang bereits nach 28 Stunden wieder gelüftet werden musste. Auch die christliche Liturgie kennt das Spiel aus Verhüllen und Offenbaren. Das Verhängte, Verhüllte, der „Vorhang“ des Symbolischen ist wegweisend bei der religiös-sakramentalen Feier und Wahrnehmung – auf das Heilige, den „verborgenen Gott“ hin.

 

CiG 24 Cover
CiG 24 Text

Christo Vladimiroff Javacheff (1935-2020) brachte in seinem ersten Werk (s. Foto) in einem Tal der Rocky Mountains zum Ausdruck, daß die Welt insgesamt ein Vorhang ist, hinter dem sich eine andere Wirklichkeit verbirgt. Wir müssen erst lernen, die Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit mit anderen Augen zu entdecken.

In der Fastenzeit gibt es das Hungertuch. Die Flügelaltäre werden zugeklappt, und das Kreuz wird verhüllt, so daß wir es am Karfreitag intensiver wahrnehmen. So ist auch Gott für uns verhüllt. Niemand hat ihn je gesehen. Ihm gegenüber ist die Wirklichkeit auch nur ein Vorhang, und die Liturgie ist ein Vorhang zwischen der sichtbaren Wirklichkeit und dem unsichtbaren Geheimnis.

Mögen wir offen sein für das Geheimnis des Verhüllten und Gefundenen.

Siehe auch Impuls vom 28. September 2018 - Von Schleiern verhangene Wirklichkeit.