28.8.2021

Das Pendant zur Selbstverwirklichung

Jeder ist an der Entwicklung des anderen beteiligt.

„Lehrt Eure Kinder, was wir unsere Kinder lehren: Die Erde ist unsere Mutter. Wenn Menschen auf die Erde spucken, bespeien sie sich selbst! Denn das wissen wir, die Erde gehört nicht den Menschen, der Mensch gehört zur Erde – das wissen wir. Alles ist miteinander verbunden, wie das Blut, das eine Familie vereint ... Der Mensch schuf nicht das Gewebe des Lebens, er ist darin nur eine Faser. Was immer Ihr dem Gewebe antut, das tut Ihr Euch selber an. Könnt Ihr denn mit der Erde tun, was Ihr wollt – nur weil der „rote Mann“ ein Stück Papier unterzeichnet und es dem „weißen Manne“ gibt? Wenn wir nicht die Frische der Luft und das Glitzern des Wassers besitzen, wie könnt Ihr sie von uns kaufen?“

Diese Worte soll der Häuptling Noah Seattle (1786-1866) vor dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika Franklin Pierce (1804-1869) im Jahr 1855 gesprochen haben.

Im Gewebe der Schöpfung bildet das Kreuz wie beim Webstuhl gleichsam Kette und Schuß·und bewahrt sie vor dem Auseinanderfallen.

Bei dem Bemühen um Selbstverwirklichung dürfen wir das menschliche Zusammenleben und das menschliche Beziehungsgeflecht nicht vergessen. Es gilt, Selbstständigkeit und Verbundenheit miteinander zu koppeln. Es sind die Beziehungen zu anderen Menschen, die den Zugang zu unserer Tiefe und zu unserem eigentlichen Wesen erschließen. Wir sind eine Faser im Gewebe mitmenschlicher Beziehungen.

Selbstverwirklichung begann in unserer Kultur vor rund 3000 Jahren bei den Griechen. Eine weitere Aufwertung erfolgte durch das Christentum. Der Mensch fühlte sich nicht mehr in die Kultur eingebettet. Mißverständlich steht in der Bibel: „Macht euch die Erde untertan“ (vgl. Gen 1,28).

Mißverständlich ist auch der Satz Jesu: „Wer mein Jünger sein will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ (Mt 16,24) Jesus sucht nicht Menschen, die sich selbst aufgegeben haben und deshalb nie sie Selbst geworden sind. Jesu Forderung zeigt, daß der Weg zur Selbstverwirklichung, zur Findung des Lebens, anders aussieht, als ich es vielleicht erwarte. Täglich mein Kreuz auf mich zu nehmen und ihm zu folgen, kann durchaus bedeuten, daß ich mich so annehmen soll, wie ich bin.

Der Mensch sieht sich oft in Selbstverwirklichung definiert, strebt Abgrenzung an und betrachtet sich als einmalig und andersartig sowie unterscheidbar von seiner Umwelt; statt dessen sollte er sein Selbst eher als Teil eines kosmischen Bewußtseins annehmen. Fernöstliche Lehren wie der Buddhismus lassen uns erkennen, daß wir Teil des großen ALLEINEN sind.

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Laut Paul Watzlawick (1921-2007), der am 25. Juli 2021 100 Jahre alt geworden wäre, ist Kommunikation der Schlüssel für ein gelungenes Beziehungsleben. Seine Geschichten führen uns hintergründig und humorvoll vor Augen, was wir täglich gegen unser mögliches Glück tun.

Paul Watzlawick
Anleitung zum Unglücklichsein
Verlag Piper 1983

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Die Geschichte mit dem Hammer
Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern grüßte er mich schon so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht's mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“

Anläßlich des 100. Geburtstages des Autors brachte die F.A.Z. vom 23. Juli 2021 unter der Überschrift „Reden als Selbstschutz“ und den einleitenden Zeilen „Der vor hundert Jahren geborene Psychotherapeut und Bestseller-Autor Paul Watzlawick hat die Kommunikation als Schlüssel eines gelungenen Beziehungslebens ausgerufen. Wie kam er auf diese Idee?“ einen ganzseitigen Artikel von Christian Geyer.
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