Der Buß- und Bettag ist ein evangelisches Fest – Was entspricht dem bei den Katholiken?
Inhalt des heutigen Buß- und Bettages ist das Besinnen der evangelischen Christen auf das ethische und moralische Verhalten, was seinen äußeren Ausdruck in Bußgottesdiensten findet. Als arbeitsfreier Tag mit seiner sonn- und feiertäglichen Zelebrationsfreiheit eignet er sich für katholische Geistliche zu verschiedensten Aktivitäten.
Das Judentum kannte ein eigenes Versöhnungsfest. Christen haben die Quatembertage, aber wer erinnert sich noch daran? Bischof Ludwig Averkamp (1927-2013) hat auf solche Tage die Beichttage in Kevealer gelegt.
Einen Aspekt von Besinnung im Zusammenhang mit Buße und Vergebung bietet die Beschäftigung mit dem „dramatischen Dreieck“ der Transaktionsanalyse. Dort geht es um Verfolger, Opfer und Retter. Ist der Sünder Täter und damit oft Verfolger eines Opfers oder ist er Opfer von Erbe und Umwelt? Je nachdem, wie wir diese Frage beantworten, geht es um Entschuldigung einerseits oder Verzeihen und Vergeben andererseits.
Wir entschuldigen uns eher, als daß wir um Verzeihung bitten. Bei der Entschuldigung versuchen wir, die Schuld durch Erklärungsversuche wegzurationalisieren; viele sind Meister in solcher Deutungsakrobatik. Ebenso wie wir uns entschuldigen, können wir auch andere entschuldigen. Aber „Nicht-von-Schuld-reden“, bedeutet zwar „Ent-Schuld-igung“, aber noch nicht Beendigung der Realität von Schuld. Es gilt, diese Schuld zu verwandeln.
Verzeihen hat zu tun mit verzichten, sich versagen. „Ich verzeihe!“, heißt dann: „Ich versage mir den Anspruch auf Genugtuung, auf Vergeltung und Rache.“ Beziehung lebt nicht ohne Verzeihen.
Es gibt das feige Verzeihen als Ersatz für eine fällige Auseinandersetzung. Hier wird der Konflikt nicht gelöst, sondern zugedeckt und verschoben. Es gibt auch das überhebliche Verzeihen, wenn jemand aus Überlegenheit die Schuld erläßt. Er hat die Pflicht, die Auseinandersetzung zu fordern, sonst wird er mit dem Schuldigen schuldig. Außerdem gibt es noch das demütige Verzeihen, wo Sühne sinnlos ist.
Vergeben wird oft in Zusammenhang mit Vergessen gebracht. Es stellt sich die Frage: „Vergeben und vergessen!“, oder doch besser: „Vergeben ja, vergessen nein!“? Nicht-Vergessen ist nicht als Nachtragen zu verstehen, sondern besagt: „Trotz deiner Schuld stehe ich zu dir!“ Vergebung hebt die Schuld auf, sie wird zwar im Gedächtnis bewahrt, aber sie wird verwandelt, das heißt getilgt.
Noch immer leben jedoch viele Menschen nach der Devise „Aug um Aug ...“. Die vor allem in südlichen Ländern nach wie vor verbreitete Blutrache ist ein erschreckendes Beispiel dafür: Bei einer Fehde zwischen zwei Familien muß für einen Getöteten aus der einen Familie eine Person aus der anderen Familie sterben. Vergebung ist Unterbrechung der Schuldgeschichte, die es aber bei der Blutrache nicht gibt. Wo Blutrache herrscht, gilt Vergebung als Schwäche.
Wir können Gottes Auftrag nicht erfüllen, wenn wir von Schuldgefühlen für vergangene und bereute Sünden besessen sind. Nur der Teufel kann wollen, daß zum Beispiel die ermordeten Opfer der Vergangenheit uns die ermordeten und gequälten Opfer unserer Gegenwart vergessen lassen.
Wann kann ich vergeben?
Wenn die Verletzung ganz schlimm war, kann ich eher mit dem anderen ins Gespräch kommen, als ihm schon vergeben. Wenn es nicht mehr so weh tut, kann ich auch vergeben. Solange Wunden nicht geheilt sind, verfügen wir nicht über die Weitherzigkeit, die zur Vergebung nötig ist. Vergebung setzt immer eine Beziehung voraus. Vergebung ist Gnade. Gott fordert keine Gegenleistung, seine Vergebung eröffnet eine neue Zeit, sie ist die Ankündigung des Reiches Gottes.
Ich darf glauben, daß Gott mir vergibt, ich kann vom Mitmenschen Vergebung erbitten. Am schwersten ist es, sich selbst zu vergeben. Daß ich mir meine Schuld bewußt mache, mich verurteile und mir vergebe, setzt jedoch das Wissen voraus, in meiner schuldigen Existenz angenommen zu sein.
Gutes Verzeihen und Vergeben läßt dem Schuldigen seine Würde und auch die eigene Wahrheit, es nimmt die angebotene Wiedergutmachung und Sühne des Schuldigen an, nur so gibt es Versöhnung.
Vergebung hängt mit Geben zusammen. Geben heißt kreativ werden; dem Schuldigen etwas geben, löst die Rollen von Opfer und Täter/Verfolger auf.
Ein solcher Täter ist aber nicht nur außen; er ist vor allem in unserem Innern, und oft projizieren wir ihn nach außen nach der Devise „Was mich ärgert, hat mit mir zu tun“. Es gilt zu fragen: „Was lasse ich mir alles von mir selbst gefallen?“ Dann kommt es auch zur Vergebung mir selbst gegenüber und zur Aussöhnung mit mir selbst über mein Verhalten. Eine solche Haltung ist meines Erachtens eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen fruchtbaren Empfang des Bußsakramentes und seine Wirksamkeit entsprechend der Feststellung Jesu, daß er nur Wunder tun konnte, wenn die Menschen glaubten (vgl. Mt 13,58).
Die Feststellung „Das kann ich mir nie verzeihen!“ kann als Schuldgefühl einen langen Schatten auf das eigene Leben werfen und manchmal ein Leben lang quälen. Oft bedarf es einer Hilfe, um die Selbstverzeihung zu bewirken. Zahlreiche Bücher beschäftigen sich mit der dargestellten Problematik.
Sendung vom SWR am 25.09.2020: Von Schuld und Verzeihen (verfügbar bis 25.09.2021)
Michaela Huber
Der Feind im Innern - Psychotherapie mit Täterintrojekten
Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt?
Verlag: Junfermann
Erscheinungsdatum: 2013
ISBN: 978-3-87387-583-8
Michaela Huber & Pauline C. Frei
Von der Dunkelheit zum Licht
Wie Persönlichkeit entwickeln kann
Trauma, Krankheit und Todesnähe überwinden
Verlag: Junfermann
Erscheinungsdatum: 2009
ISBN: 978-3873876866
Katrin Biber
Larissas Vermächtnis
Der schreckliche Mord an meiner Schwester und mein Weg zurück ins Leben
Verlag: Taschenbuch
Erscheinungsdatum: 2020
ISBN: 9783492315883
Isabel Varell
Mittlere Reife: Aus meinem Leben
Verlag: Piper
Erscheinungsdatum: 2016
ISBN: 9783492060363