30.1.2021

Der Mensch, das riskierte Wesen zwischen Zeugung und Geburt, Leben in Gesundheit und Krankheit, Sterben und Tod

Es scheint, als hätten wir Menschen mehr Angst vor dem Leben als vor dem Tod. Wir sind das Lebewesen, das um sein Sterbenmüssen weiß. Der Tod ist sicher, eben todsicher; das Leben aber ist ein Risiko. Der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibelsfeldt (1928-2018) schrieb 1991 ein Buch mit dem Titel „Der Mensch, das riskierte Wesen“.

Eibl-Eibelsfeldt, Irenäus:
Der Mensch - das riskierte Wesen.
Zur Naturgeschichte menschlicher Unvernunft,
München 1988

 

Auszug aus meinem Vortrag zur Organspende
Im Gedanken Gottes leben wir ewig. Dann gibt es eine Pause von der Ewigkeit, und wir wandeln über diese Erde bis Gott uns heimholt. Menschliches Leben insgesamt ist wie das Schwimmen im Weltenozean, das Erreichen einer Insel, das Wandern über diese Insel und das Wiedereintauchen in den Weltenozean. Dem irdischen Leben entspricht das Gehen über diese Insel. Wir sollen das Leben mit Gott und seine Beziehung zu ihm während dieses Ausgesetztseins auf der Erde schätzen lernen.

Der Übergang von der Ewigkeit in die Zeit und aus der Zeit in die Ewigkeit war früher naturgegeben. Eine Frau wurde schwanger und damit Mutter; schwanger idealerweise von dem Mann, der sich zu dem Kind als Vater bekannte und es auch wirklich war. Der Übergang von der Zeit in die Ewigkeit, den wir Sterben nennen, geschah, wenn er natürlich vor sich ging, im Kreis der Familie. Im besten Fall starb der Mensch am Leben, „alt und lebenssatt“, wie es immer wieder im Alten Testament heißt (vgl. z. B. Gen 25,8). In der Zeit zwischen Geburt und Sterben wollte der Mensch möglichst gesund leben. Aber zur Gesundheit gehört auch als anderer Pol die Krankheit. Die heilige Hildegard (1098-1179) war oft krank, aber sie lernte aus den Krankheiten und wurde die große Heilerin.

In bezug auf den jeweiligen Prozeß der Geburt beziehungsweise des Sterbens hat man sich zwar wegen der rechtlichen Fragen geeinigt, wann ein Leben beginnt und wann es endet, aber die Definitionen haben nichts mit dem zu tun, was wir Leben nennen. Wir erlauben uns sogar zu bestimmen, was lebendig und was tot ist. Doch letztlich lebt alles, und zwar in Gott. Paulus schreibt: „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“ (Apg 17,28)

Link zum gesamten Vortrag

 

Kästner, Erhard:
Aufstand der Dinge,
Frankfurt 1976

Erhart Kästner (1904-1974) schreibt in seinem Buch „Aufstand der Dinge“ in dem Kapitel „Als die Dinge noch gelebt haben“:
„Also die Dinge sind tot. Nicht Gott ist tot, aber die Dinge; es war ein Nachrichten-Versehen, ein Übermittlungs-Fehler, eine Falschmeldung. Die Dinge sind tot, und wir (das war richtig) wir waren es, die sie erforschten, erwürgten, umbrachten. Wir waren es, die uns der Sünde schuldig machten: der Welt-Sünde einer Ehren-Kränkung der Dinge.
Von jeher hatten sie von der Mühe gelebt, die man sich um sie machte. Schwer begreiflich: aber um Mühe gaben sie Leben. Man wollte sie mühelos, man wollte sie hergestellt haben. Das gelang auch. Aber um den Preis ihres Lebens.
Zwar gibt es noch Viele, die den Tod der Dinge nicht wahrhaben wollen. Sie ertragen die Nachricht nicht. Sie gleichen den Müttern, die ein Jahrzehnt die Nachricht verweigerten, ihre Söhne seien auf den Schneefeldern zugeweht worden und sagten: Ich weiß es, er lebt noch. Eines Tags aber werden es Alle einsehen und sich gestehen müssen, daß die Dinge tot sind. Dann wird in den Zeitungen stehen: Wie jetzt erst bekannt wird, sind die Dinge verstorben. Wir werden darauf noch zurückkommen.
Aber zur Zeit dieser Meldung werden nicht mehr Viele verstehen, was gemeint ist. Nur sehr alte Leute werden sich erinnern, in ihren jungen Tagen davon gehört oder gelesen zu haben: irgendwann einmal, vor Zeiten, lustige Vorstellung, sollten die Dinge, der Mond und der Bach und die Tanne, die Stadt und die Bucht und das Kornfeld gelebt haben.“

Bezüglich der Geburt eines Menschen kann ein Kind heute auf Grund der medizinischen Entwicklung mindestens fünf Elternteile haben: Die Frau, die das Ei gespendet hat, die Frau, die das Kind ausgetragen hat, die Frau die die soziale Mutter des Kindes ist, den Mann, der den Samen gespendet hat und den sozialen Vater des Kindes. Es kann sogar noch eine weitere Mutter hinzukommen, wenn zwei Eizellen zusammengefügt werden.

Sylvia Meise in PSYCHOLOGIE HEUTE Dezember 2014: 84:
[Der schwule US-amerikanische Psychologen Andrew Salomon] „wollte immer Kinder, fühlte sich aber vor die Entscheidung gestellt, das Homosexuellsein zu leugnen und eine Familie zu gründen - oder es zu akzeptieren und keine Kinder zu haben. Mittlerweile haben er und sein Mann mehr als eine Familie gegründet: Das eigene Kind trug eine lesbische Freundin aus, die wiederum mit ihrer Partnerin zwei Kinder hat, für die Salomons Mann den Samen spendete ... Als Schwuler eine Familie zu haben war also möglich.“

Um Kinder zu bekommen, braucht es heute weder Liebe noch Sex. Die Zeugung erfolgt mit der „Bechermethode“ in der Petrischale. Dabei kann auch übergangsweise die Gefriertruhe unsere Heimat sein, sei es als eingefrorene Eizelle der Mutter, Samenzelle des Vaters oder als bereits befruchtetes Ei der Mutter. Sollte unser Leben dann in der Gebärmutter weitergehen, sind wir auch dort unseres Lebens noch nicht sicher. Sind wir behindert, werden wir aussortiert. Vermutlich erfährt eine Mutter, die ein behindertes Kind bekommt, noch einen Vorwurf.

Sicher sind wir heute auch unseres Todes nicht mehr. Das zeigt sich vor allem in der Diskussion um die Organspende. Wir dürfen noch nicht tot sein, wenn unsere Organe noch verwendbar sein sollen. Die Medizin verfügt über zahlreiche Möglichkeiten, unser Leben zu verlängern. Häufig geschieht dies, ohne daß sich die Verantwortlichen fragen, ob das Leben nach der entsprechenden Maßnahme noch lebenswert ist. In diesen Bereich gehört auch die Diskussion um die Sterbehilfe.