27.8.2021

Der Mensch ist mit allem, was existiert verbunden

Meine Überzeugung, daß alle Geschöpfe, das heißt Mensch, Tier und Pflanze, eine Einheit bilden, und deshalb in ausgewogener Harmonie miteinander leben sollten, um sich nicht gegenseitig zu vernichten, fand ich erneut bestätigt.

Im Jahresheft 1996 von ZIST stieß ich auf den Artikel Systemisches Denken und Oekopsychologie von Dr. Eva Madelung (* 1931).

Besonders beeindruckt haben mich die Aussagen über die vermutlich existierende gemeinsame Bewußtseinsebene aller Menschen, auf Grund derer wir auch mit der außermenschlichen Natur verbunden sind, sowie über das „Wissen um die gegenseitige Abhängigkeit von menschlicher und außermenschlicher Natur“.

Sehr bemerkenswert sind meines Erachtens auch die beiden folgenden Abschnitte: „Selbstverwirklichung: die individuell-biographische Sicht

„Sigmund Freud, Carl Gustav Jung und Alfred Adler – die Begründer der modernen Psychotherapie – standen in der Tradition der Persönlichkeits-Psychologie des beginnenden 20. Jahrhunderts, die sich mit Charakterstrukturen und dem Aufbau der Person (Philipp Lersch) beschäftigte. Als Antwort auf die Frage, was den Menschen steuert und motiviert, rückte für sie die Tiefenschicht der Persönlichkeit, das sogenannte Unbewusste in den Mittelpunkt des Interesses. Für Freud war es vor allem der Sexualtrieb, für Adler der Macht- oder Geltungstrieb, der diese unbewusste Tiefenschicht bestimmt. Für Jung war es das Streben nach Individuation oder Selbst-Werdung, das den Menschen aus dem Unbewussten her führt und ihm in seinen Träumen entgegentritt.

Auch die Humanistische Psychologie hat hauptsächlich die individuelle Biographie im Blick: erfüllte Sexualität und Selbstverwirklichung sind aus ihrer Sicht die Grundlagen psychischer Gesundheit. Um psychische oder psychosomatische Störungen zu bessern, sucht man nach Ursachen, das heiß nach Traumen der frühen Kindheit oder Jugend. Therapie versteht sich als Hilfe, innere Fesseln zu sprengen und durch Selbstverwirklichung ein erfülltes Leben zu finden – eine Erwartung, die der Aufbruchsstimmung der sechziger und siebziger Jahre entsprach.“

und


Systemische Kurztherapien als Antwort auf die heutige Situation

„Individuation, das heißt Entwicklung der Persönlichkeit, war offensichtlich bis in die Mitte unseres Jahrhunderts ein legitimes Ziel in unserem Kulturkreis, und Therapieformen, die sich diesem Konzept verpflichtet fühlen, gehören in diesen Entwicklungszusammenhang.

Heute, am Ende des Jahrhunderts, hat sich die Situation geändert: die Schattenseiten, die jede Entwicklung mit sich bringt, treten deutlich hervor. Wie es Bateson schon in den siebziger Jahren formulierte, gefährdet unsere Kultur, in der Absicht, individuelles Leben zu schützen und individuelle Bedürfnisse nicht nur zu befriedigen, sondern in einer zum Teil unsinnigen Weise zu steigern, das Überleben des Lebens auf dieser Erde. Wir sind gezwungen anzuerkennen, dass wir als Individuen in vielfältige Wechselwirkungen eingebunden sind; dass wir aber gleichzeitig persönliche Verantwortung tragen: ein existenzielles Paradox tut sich auf.

Die systemischen Kurztherapien, wie Hypnotherapie, Familientherapie und NLP, entstammen – wie oben dargestellt – aus einer Umgebung, in der der Paradigmenwechsel von der personalen zur systemischen Sicht stattfand. Deshalb steht zum Beispiel beim zirkulären Fragen – wie im Mailänder oder Heidelberger Ansatz – oder beim Wechsel der Positionen – wie im NLP – oder in partnerbezogenen Aufgaben – wie im Ericksonschen Vorgehen – der Beziehungszusammenhang einer Person im Vordergrund. Dadurch erfährt sie einerseits die Möglichkeit, das Problem durch die Augen des Anderen, das heißt von einer anderen Seite her, zu sehen und damit neue Gesichtspunkte und Lösungsmöglichkeiten zu gewinnen. Andererseits entwickelt sich durch diese Erfahrungen eine Art systemisches Bewusstsein als Bewusstsein des unausweichlich in Beziehung-Stehens. Das Konzept des, und der Umgang mit dem Unbewussten wird ergänzt durch das Konzept und den Umgang mit dem Zwischenbewussten [5].

Ein anderes, überzeugendes Beispiel ist die Entwicklung, die die systemische Psychotherapie Bert Hellingers in den letzten Jahren genommen hat, und der Zuwachs an Resonanz, den sie erfährt. In ihr ist die Anerkennung des Familienzusammenhangs verknüpft mit der Anerkennung einer Grundordnung. Dies wirkt offensichtlich in einer Zeit auf viele Menschen anziehend und heilend, in der das Bewusstsein von Ordnung und Verantwortung im Schwinden begriffen ist.

Systemische Methoden sind nicht nur therapeutisch wirksam. Sie vermitteln darüber hinaus einen Erfahrungshintergrund, der in die Praxis des Alltags hineinwirkt. Allerdings bleibt auch in ihnen die oben angesprochene Wechselwirkung mit der außermenschlichen Natur weitgehend unbeachtet.“

Siehe auch Im Wald lebt alles, sogar der Tod
und Leben wie ein Baum.