
25.9.2021
Die „bösen“ und die „guten“ Nackten (3)
Naturnacktheit – Kulturnacktheit
In vielen „Primitiv“kulturen und auch in den sogenannten „Hoch“kulturen, wie zum Beispiel bei den Sumerern, Griechen und Etruskern, gehörte Nacktsein nicht nur bei Spiel und Sport, sondern auch bei mancher beruflichen Tätigkeit zum Alltag und war somit auch Ausdruck ihrer Kultur. Angesichts dieser Tatsache mag man sich zwar berechtigt schlechter Gedanken oder Taten schämen, aber nicht seines eigenen Leibes, seines Nacktseins. Verhüllen bedeutet, zwei Bereiche voneinander zu scheiden. Die Hülle ist Grenze und in gewisser Weise eine Ordnungsmacht, so finden sich in Museen, Kirchen und anderen Gebäuden nicht selten Hinweise auf angemessene Kleidung. Kleine Kinder haben noch kein Gespür dafür, was Kleidung bedeutet, sie empfinden sie höchstens als angenehm oder lästig. Je nach der ihn umgebenden Kultur kann der Mensch aber zu manchen Zeiten das Bedürfnis haben, sich zu verhüllen.
Bedingt durch Klima, Gewohnheit und Umstände ist die Reizschwelle von Scham gegenüber dem Nackten bei den einzelnen Menschen unterschiedlich hoch. Wer nackt badet, ist nicht zwangsläufig kulturlos; wer eine Badehose trägt, ist bestenfalls zivilisiert. Nicht wenige Kulturen wurden unter anderem durch den Zwang, sich des eigenen Leibes und selbst der uralten Stammestraditionen zu schämen, sehr gestört oder sogar vernichtet.
Mögen wir uns nackt betrachten? Wäre es nicht wünschenswert, beim Anblick eines wohlgestalteten nackten Menschen Gott eher für die Schönheit zu danken als Angst vor unkeuschen Gedanken zu haben?
Seit dem Sündenfall empfinden wir in unserer Kultur und Zivilisation „Nacktsein“ als anzüglich; denn wir sind nicht mehr fähig zur Unschuld einer beseelten Nacktheit, die in sich ruht und es nicht nötig hat, sich exhibitionistisch zur Schau zu stellen. Unsere Nacktheit paktiert offen oder heimlich mit dem Voyeur. Sie zeigt sich und will gesehen werden.
Unsere Phantasie entzündet sich mehr am Unsichtbaren und Erahnten als am Geschauten. Die allgemeine Hüllenlosigkeit hat kaum noch erotische Bedeutung. Selten hält der nackte Körper, was der bekleidete verspricht. Das gewisse erotische Etwas liegt nicht in der totalen Blöße, sondern es ist im Halbversteckten verborgen, in der stillschweigenden Aufforderung, die halbverhüllte Schönheit gänzlich ihres Stoffkleides zu berauben.
Siehe auch Entkleiden – Mein Kleid ist Licht und „Wir sind nackter als früher“.