
28.9.2021
Die „bösen“ und die „guten“ Nackten (4)
Die nackte Kunst
Im Gegensatz zur griechischen Kultur verwirft die israelisch-hebräisch-biblische Tradition Nacktheit als schimpflich und die Sinnlichkeit fördernd. Die frühchristliche Kunst fand unter dem Einfluß der Antike jedoch nichts Anstößiges an der Darstellung nackter biblischer Personen oder nackter Genien in Kindergestalt.
In der mittelalterlichen Kunst, vor allem in der romanischen, symbolisiert ein nackter Mensch die Sünde des Fleisches, insbesondere das Laster der Wollust.
Wenn man die Erwählten nackt, das heißt mit Kleidern von Licht, und noch dazu kindlich darstellt, läßt sich daran die Wiedergewinnung kindlicher Unschuld ablesen. Die hüllenlosen Gestalten der Bilder des Jüngsten Gerichtes deuten auf das metaphysische Ausgezogensein der Geschöpfe vor Gott.
Im Mittelalter charakterisieren nackte Idole nicht selten das Heidentum als Gegensatz zur christlichen Heilsgewißheit. Nackte Götter und Götzen stehen für Ausschweifung, Laster und Verführung. Die nackte Eva ist häufig der bekleideten zweiten Eva, Maria, gegenübergestellt.
Eine mittelalterliche Wurzel der Nacktheit ist die Allegorie. So wird die Caritas, die sich verschenkende Liebe, zur Veranschaulichung ihrer Selbstentäußerung als nackte Frau mit Kind dargestellt, auch die Klugheit erscheint häufig nackt; denn sie erkennt die nackte Erbärmlichkeit des Menschen.
In der Mystik wurde die Nacktheit zum Bild der Läuterung.