30.9.2021

Die „bösen“ und die „guten“ Nackten (6)

Eine Art sakraler Nacktheit findet sich in der christlichen Taufliturgie. Die sakrale Nacktheit ist vermutlich die Beibehaltung eines älteren Kulturzustandes. Die Frömmigkeit ist immer konservativer als das sonstige Leben. Infolgedessen lebt in der sakralen Nacktheit vielleicht die Nacktheit weiter, die ansonsten mit der Entwicklung der Zivilisation verschwunden wäre. Bei der sakralen Nacktheit entblößt sich der Mensch, um in den innigsten Kontakt mit dem Heiligen zu treten.

Ein weiteres Motiv für Nacktsein ist die Absicht, sich schutzlos den himmlischen Mächten auszuliefern, sie anzuziehen, und zwar sowohl im Sinn von Anlocken als auch von Anziehen eines himmlischen Kleides, oder auch die Intention, durch das Zeigen der gefürchteten und darum sonst bedeckten Organe die Kraft der hohen Mächte zu steigern oder die Dämonen in die Flucht zu schlagen. Letztendlich bedeutet Unbekleidetsein das Fehlen jeglicher Bindung und erwirkt das freie Walten von Kräften.

Aus dem Fernsehen kennen wir die Dialektik von Sichtbarkeit und Isolation. Was erfahre ich wirklich von dem, was ich dort sehe? Die Trenn=Mattscheibe verhindert jegliches Erleben.

Gibt es etwas Trennenderes als die massenhafte Nacktheit an manchen Stränden? Zu Lande und zu Wasser scheint das Weggucken anstrengender, die Erektionsangst größer und die Berührungspeinlichkeit intensiver als an Textilstränden. Die Dialektik von Sichtbarkeit und Isolation kommt auch dadurch zustande, daß fehlender Slip oder Tanga keinen Raum mehr bieten für Phantasie. Es geht um eine Welt, in der stets alles hautnah fremd bleibt.

Siehe Bekleiden – Kleider als Schutz.