
26.5.2020
Die dunkle Nacht
Die dunkle Nacht, wie sie manche Mystiker beschreiben, ist nicht negativ. Man mag sie hier und da mit einer Depression vergleichen, aber sie ist eine Nacht mit einem Sinn. Auch eine schlaflose Nacht ist nicht sinnlos. Sie ist keine unnütze Dunkelheit.
Sie ist nicht nur der Gegensatz zum Licht, sondern auch ein Ort, an dem man langsamer denkt und fühlt als im Hellen.
Es ist wichtig, die Polarität des Lebens anzunehmen, also weder etwas abzuspalten noch etwas zu verteufeln, sondern zu akzeptieren, daß alles mindestens zwei Seiten hat, eine positive und eine negative, dann wird aus Dunkelheit auch keine Finsternis.
Johannes vom Kreuz
Noche oscura del alma [Die dunkle Nacht der Seele]
Übertragung ins Deutsche von Hedwig Michel:
Die dunkle Nacht, München 1956
Karl Leisner in seinem Tagebuch
Münster, Mittwoch, 30. Oktober bis Samstag, 2. November 1935
1.–4. Tag der gnadenreichen Exerzitien [bei P. Friedrich Kronseder SJ im Collegium Borromaeum]
Abends 20.00 Uhr sakramentale Andacht auf der Kapelle. Es beginnen die Geistlichen Übungen bei P. Kronseder. (Näheres die genaue schriftliche Ausarbeitung!)
Gleich schon stellt er uns in herrlicher Weise mit wundervoller Auslese aus Dantes „Göttlicher Komödie“[1] und Juan de Cruce’s „Nacht der Seele“[2] mitten hinein, führt uns ein in das große Zentralmysterium, was in diesen stillen Tagen vor uns stehen soll, in die Allerheiligste Dreieinigkeit.
[1] Alighieri, Dante: Die Göttliche Komödie (La Divina Commedia), übersetzt und erläutert von Karl Streckfuß, Stuttgart o. J.
[2] Johannes vom Kreuz: Noche oscura del alma – Die dunkle Nacht der Seele. Sämtliche Dichtungen aus dem Spanischen übertragen und eingeleitet von Felix Braun, Salzburg 1952
Karl Leisner ahnte damals noch nicht, welch dunkle Zeiten ihm noch bevorstanden.