
16.5.2019
Die Hand als Symbol für Fühlen und Tasten
Im Tasterlebnis nehmen wir eigentlich nur uns selbst wahr. Das ist für ein Kind von besonderer Bedeutung; denn es muß lernen, sich in sich selbst immer deutlicher zu erspüren. Am stärksten reagieren von Anfang an die Lippen auf einen Berührungsreiz. Der sogenannte Saugreflex wird sofort bei leisem Betasten der Lippen im Säugling ausgelöst; schon ein Embryo reagiert auf eine Reizung der Oberlippe.
Die Sehnsucht nach dem Tasterlebnis beschränkt sich im Säuglingsalter nicht nur auf das Lutschen und auf die Sucht, alles in den Mund zu nehmen. Auch die Fingerchen sind immer bestrebt, alles zu berühren. Im Daumenlutschen, was das Kind aber, falls die Bezugspersonen ihm genug Beachtung schenken, bald aufgibt, kommt beides zusammen. Dauert diese Art sich zu spüren jedoch zu lange an, vernachlässigt das Kind einen Teil der übrigen ihm möglichen Tasterlebnisse.
Das heranwachsende Kind löst sich langsam von jener Seite des Tastsinnes, die sich auf das eigene Innere richtet. Dafür wächst sein Erleben der äußeren Welt.
Der Tastsinn offenbart, wie schnell wir manches nur danach beurteilen, wie es auf unser Inneres wirkt, so daß wir in Gefahr geraten, beim Tasten ganz im Subjektiven steckenzubleiben. Dies geschieht, wenn wir die Berührung nur danach beurteilen, ob sie angenehm oder unangenehm ist.
Der erwachsene Mensch ist in der Lage, absichtlich alles zu vergessen, was er persönlich durch den Tastsinn erfährt, und bewußt auszulöschen, ob die Berührung Lust oder Unlust, Gefallen oder Mißfallen auslöst. Er bemüht sich, herauszufinden, was ihm das Ertasten dessen, was man an ihn heranbringt, verrät. So kann sich die ursprüngliche Neugierde in selbstloses Interesse, wie es zum Beispiel beim Arzt der Fall ist, umwandeln in Ehrfurcht vor dem, was wir von außen empfangen.
Wenn wir Ehrfurcht empfinden, erwacht in der Seele eine Tätigkeit, die alsdann einen Strom lebendiger Kräfte von innen nach außen leitet. Das geschieht vor allem in der Liebe. Berühren und berührt werden, ganz bei sich sein und zugleich ganz beim anderen sind Quellen des Glücks.
Siehe auch Impuls vom 19. Oktober 2018 – Fühlen und Tasten.
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