
12.6.2019
Die Sinne als Mittler
„Nichts ist im Geiste, was nicht vorher in den Sinnen ist.“ Diesen Satz hat der heilige Thomas von Aquin (1225-1274) von dem griechischen Philosophen Aristoteles (384-322 v. Chr. G.) übernommen. Auf Grund dieser Formulierung sind wir geneigt, das, was unsere Sinne nicht wahrnehmen, für nicht existent zu halten. Auf unsere Sinne können wir nicht verzichten, ohne sie gibt es keine klare gedankliche Folgerung. Die Grundlage aller Welterfahrung entstammt der sinnlichen Wahrnehmung. Ohne diese müßten wir uns wie in einem Gefängnis vorkommen.
Wir zeigen dieselben körperlichen Reaktionen, ganz gleich, ob wir es mit einer Illusion zu tun haben oder mit der Wirklichkeit. Wenn wir zum Beispiel meinen, auf der Straße einen Freund zu sehen, sind unsere Körperreaktionen, unabhängig davon, ob es wirklich der Freund ist oder die Person ihm nur ähnelt, dieselben.
Das Wesen der Sinne ist es, nicht nur weltoffen zu sein, sondern selbst ein Stück Welt zu sein. Sie gehören ebenso zur Welt wie zu uns, sie stehen dazwischen, sowohl dem einen als auch dem anderen sind sie nahe, gehen aber in keinem der beiden auf.
Das Besondere unserer Sinne ist, daß sie sich nicht über sich selbst äußern, sondern anderes zur Geltung kommen lassen. Sie vermitteln uns, was sich innerhalb der physischen Welt vollzieht. Sie sind in gewisser Weise ein Spiegel der gesamten Schöpfung.
Die Sinne sind wahrheitsgetreue Mittler, geprägt von einer doppelten Selbstlosigkeit. Sie helfen uns und sind gleichzeitig Fürsprecher dessen, was um uns ist, einschließlich unserer Körperlichkeit. Sie sind unser persönlicher Anteil an der Welt. Dennoch lassen sie uns frei von Bindung. Wir verfehlen und entbehren zwar etwas, wenn wir unsere durch sie gemachten Wahrnehmungen nicht beachten, sind dadurch jedoch nicht einsam.
Unsere Sinne verdrängen unsere Seele nicht, sondern regen sie an. Sie sind nicht nur Wächter, sondern stellen sogar Verbindungen her. Indem sie uns kosmische Zusammenhänge und Rhythmen wahrnehmen lassen, liefern sie uns Informationen über Beziehungen, durch die wir in harmonischer Weise mit unserer Welt in Verbindung treten. Wir erfahren, daß wir nicht außerhalb all dessen stehen, was wir wahrnehmen, sondern Teil eines Ganzen sind.