3.7.2022

Die Transzendenz mitten im Existentiellen erfahren

Transzendenz bedeutet, sich mit etwas verbunden zu fühlen, was größer ist als man selbst. Die Unerfüllbarkeit der Sehnsucht nach dem Transzendenten ist die Quelle der Kunst. Das Reich der Kunst grenzt an das Heilige, beide sind dem Alltag enthoben. Zum Gegenstand haben sie oft das, was den Verstand übersteigt. Kunst schenkt uns durch ihre Darstellung in Bild und Form neben der Musik mit ihrem Klang und der Lyrik mit ihrem Wort eine Ahnung von Transzendenz. Kunst vermag etwas von dem auszudrücken, was uns unmittelbar angeht und die Polarität von Subjekt und Objekt transzendiert. Sie ist imstande, das Gegensätzliche miteinander zu verbinden. Die abstrakte Kunst birgt ein großartiges Angebot. Gerade durch die Abstraktion drückt sie eine Erfahrung aus, die sich eben nicht genau benennen läßt. Nicht mehr nachahmendes, abbildendes, darstellendes Malen bestimmt die Kunst. Sie gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar. „Diesseitig bin ich gar nicht fassbar. Denn ich wohne grad so gut bei den Toten, wie bei den Ungeborenen. Etwas näher dem Herzen der Schöpfung als üblich. Und noch lange nicht nahe genug.“ (Paul Klee 1879-1940)

Der Begriff Transzendenz ist von transcendere (lat.) = überschreiten, übersteigen abgeleitet. Er bedeutet, das jenseits der Erfahrungen Liegende, die Grenzen der Bewußtseinserfahrung, zu überschreiten. Man transzendiert zum Beispiel vom Diesseits zum Jenseits.

Die Psychotherapie bedient sich in verschiedenen Bereichen der Kunst; denn diese bietet viele Möglichkeiten zur Selbsterfahrung. So machen uns zum Beispiel die Tanz-, Mal- oder Musiktherapie empfänglich für die Wahrnehmung unseres Selbst, unserer Phantasien, Konflikte und Probleme.

Als Spiritual im Geistlichen Zentrum Haus Aspel in Rees war es mir ein großes Anliegen, die Kirche mit der Psychologie und der modernen Kunst zu versöhnen; Gott ist nicht zu verstehen, wir können ihn nur als Transzendenz erfahren. „Gott ist in diesem Leben jenseitig.“ Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) Alle Bilder, die wir uns von ihm machen, entsprechen ihm nicht. Spätestens ab dem 14. Jahrhundert ist die Kunst eine andere als zuvor. Die moderne Kunst projiziert das Unendliche in Endliches.

Der Turm der blauen Pferde Franz Marc (1913)

Die Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“, zu der auch Franz Marc (1880-1916) gehört, schuf „eine abstrahierende Formensprache, die unter dem verbindenden Glauben an eine „geistige“ Dimension der Kunst verschiedenen formalen Ausdrucksmöglichkeiten Raum bot“.

So kann uns moderne Kunst zu einem Glauben an Gott führen; denn Glaube braucht Bilder.

 

In der Münsterschen Zeitung vom 9. Dezember 2021 beschrieb Pater Dr. Elmar Salman OSB (* 1948) moderne Gemälde der Künstlerin Francesca Mele (* 1964).

„Es handelt sich [...] bei der Vernissage [...] um eine „metaphysische Malerei“, eine Malerei „ohne alles Fassliche“. Wir sehen entrückte Frauengestalten an leeren Orten, sodann Meeresbilder als Sinnbild der Weite, dann wieder Architekturstrukturen wie im Nebel, mächtige Fassaden, die langsam dem Verfall und dann dem Vergessen preisgegeben sind.“

Kirche+Leben brachte am 24. April 2022 einen Artikel über den Musiker Heinz Rudolf Kunze (* 1956). Darin heißt es: „Spuren des Göttlichen entdeckt er unter anderem in Gedichten, Musik und Malerei.“ Kerstin Ostendorf zitiert den Künstler wie folgt „Ich habe mal einen genialen Satz von Karl Rahner [1904-1984] gelesen: „Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang aushalten.“ […] „Ich denke an das Stück Cinema Show von Genesis. Was Tony Banks [* 1956] da komponiert hat, dieses perfekte Zusammenspiel von Gitarren, Flöten und Oboen, ist zu mindestens ein Gottesindiz. Das ist einfach so gelungen, das kann doch verdammt noch mal kein Zufall sein.“

Johanna Schwanberg (* 1966) formulierte: „Kunst gibt keine Antworten. Aber sie stellt entscheidende Fragen.