
24.1.2019
Das Penrose-Dreieck erweckt den Anschein, es handele sich um eine geschlossene dreidimensionale Struktur aus drei rechten Winkeln, was in der euklidischen Geometrie jedoch unmöglich ist.
Die Wahrheit ist paradox (2)
In der Logik gibt es das ausgeschlossene Dritte. Vor aller Logik und Unlogik aber geschieht und ereignet sich Leben in einer Art A-logik, einer lebendigen paradoxen Wahrheit. Das Unerklärbare findet seine Antwort nicht in der Logik; denn es ist nicht erklärbar. Wahres Leben birgt die Einigung der Pole und dadurch ein Pulsieren im wechselseitigen Hervorbringen des einen und des anderen Poles. Paradoxie ist das Prinzip der polaren Energie. Nur das Paradoxon vermag die Fülle des Lebens annähernd zu fassen.
Religiöse Aussagen zum Beispiel enthalten prinzipiell logische Widersprüche und unmögliche Behauptungen; denn auf dieser Erde ist Eindeutigkeit ein Zeichen von Schwäche. Eine Religion verarmt, wenn sie ihre Paradoxa verliert oder vermindert. Die Eindeutigkeit und das Widerspruchslose sind einseitig und darum ungeeignet, das Unfaßliche auszudrücken. Wichtige Aussagen des Evangeliums sind nicht logisch, sondern paradox: „Wer stirbt, wird leben!“ (vgl. Joh 11,1–16), „Wenn ich schwach bin, bin ich stark“ (vgl. 2 Kor 12,9f; Hebr 11,34). Transzendenz und Immanenz greifen paradox ineinander.
Es gibt nichts, von dem das Gegenteil nicht auch richtig ist. Das versteht derjenige, der das Paradox versteht. Auf einer höheren Bewußtseinsebene erkennen wir, daß die Gegensätze eine Einheit bilden, und damit finden wir zum Paradoxen, zum Beispiel „Wer verliert, gewinnt!“ (Mt 16,25)
Bei allen Versuchen, Gott zur Sprache zu bringen, gerät dieses Sprechen an die Grenze des Unsagbaren, des Entzugs, vor allem des Paradoxons, also des Widersprüchlichen, das sich in der Aussage verdeutlicht, daß sich die absolute Transzendenz Gottes als Nähe der Liebe verwirklicht.
Da das Leben nicht nur logisch ist, gibt es den Kompromiß. Die Gefahr der digitalen Denkweise des Computers besteht darin, daß er nur JA und NEIN kennt. Für denjenigen, der in einer solchen Denkweise lebt, läßt sich alles logisch ergründen, und was nicht logisch zusammenpaßt, sieht er als falsch an. Darüber steht die Kunst des großen Kompromisses. So müssen Menschen, die gegensätzliche Meinungen vertreten, unterscheiden zwischen ihrer eigenen Fantasie und der Wirklichkeit.
Die „wirkliche“ Wahrheit ist paradox. Hier auf Erden brauchen wir einen Erkenntniszugang zur paradoxen Wirklichkeit. Nikolaus von Kues (1401-1464) wußte, daß alle Wirklichkeit in einer Spannung ruht, die sich einseitiger Sicht nicht erschließt. Es dürfte keine Halbierung der Wirklichkeit geben, keine Abspaltung des Schattens, weder Verklärung noch Dämonisierung des Faktischen.
Die östlichen Religionen rechnen mit der Auflösung ihres Menschseins und erwarten das Aufgehen im ALL-EINEN. Damit ist nicht die Auslöschung des einzelnen Teiles gemeint, sondern sein gleichwertiges Enthaltensein im Ganzen. Es geht gleichzeitig um Einheit und Differenz, das bedeutet, ganz wir selbst zu sein ohne Verdrängung und Abspaltung und gleichzeitig eins zu sein mit allem, was wir nicht sind. In gewisser Weise ein Paradox. Was wirklich sein wird, können wir nicht formulieren.
Wie gehen wir mit Paradoxien um?