
17.1.2019
Erde als Höhle
Eine Höhle verschafft den Zugang zur Erdentiefe. Dort lebten und starben unsere Urahnen. Der Geburtsraum war zugleich der Todesraum. Felszeichnungen in den ältesten Höhlen der Menschheitsgeschichte geben Zeugnis vom Leben und Kult der Menschen in der Urzeit. Noch heute „bauen“ sich Kinder gerne Höhlen.

Mithräum in Santa Maria Capua Vetere (bei Neapel) - Foto: Manuel Mauer
Die Mithrasreligion feierte ihren Kult in unterirdischen Räumen; denn Mithras ist aus einem Stein geboren. Vermutlich gibt es in den Evangelien keine Erwähnung einer Höhle, um jeglichen Zusammenhang mit den heidnischen Höhlenkulten zu vermeiden; denn der prähistorische Höhlenkult ist von einer Dauer und Kontinuität, der gegenüber die Hochreligionen jung sind. Die Heilige Höhle gehört zur tiefsten Schicht und zur ältesten Ausdrucksform menschlicher Religiosität.

Leonardo Da Vinci - Vergine delle Rocce (Louvre)
Aber auch das Christentum geht in die Erde: Jesus wird in einer Felsengrotte geboren, Johannes tauft ihn an der tiefsten Stelle der Erde, und er wird in einem Felsengrab beigesetzt. In Jesus dringt Gott ganz in die Erdentiefe ein, so daß sie vollkommen von ihm durchdrungen wird.
Es gibt die These, man habe den Begriff „Höhle“ aus dem Evangelium (Mt 2,9) gestrichen. Aber die Ikonographie kennt die Höhle vor allem auf Geburtsikonen. Das Protoevangelium des Jakobus spricht auch von der Geburtshöhle. In Bethlehem wird auch kein Stall, sondern eine Höhle gezeigt. Weiterhin kennt man die Grabeshöhle und die Himmelfahrtshöhle als Offenbarungshöhle. Diese drei Höhlen sind Ausdruck der dreifachen religiösen Urbedeutung der Höhle. Das Christentum drängt den heidnischen Höhlenkult immer mehr in den Hintergrund und führt letztendlich zu dessen Aufhebung.
Christus ist der Gegensatz und der Überwinder aller mythischen Gestalten. Die ersten Christen übten ihre Religion in den Katakomben aus. Vor allem in der Ostkirche gibt es zahlreiche Klöster und Mönchszellen in Felsen und Höhlen. Diese Klöster sind einerseits Grabeshöhlen, in der der Asket sein weltliches Leben begräbt, andererseits aber auch Auferstehungshöhlen. Auch die sich vorwiegend in ursprünglich romanischen Kirchen befindlichen Krypten erinnern in gewisser Weise an Höhlen.
Maria selbst wird zum Berg und ihr Schoß zur Höhle. Diese wiederum wird durch die Menschwerdung Gottes zum Himmel, und die Dämonen werden vertrieben. Die Höhle wird zur Stätte des Sieges über die Dämonen und verkörpert den Triumph des neuen Lebens.
In Barnabas’ und Justins Briefen heißt es unter Bezugnahme auf Jes 33,16: „Der (Rechtschaffene) wird auf den Bergen wohnen, Felsenburgen sind seine Zuflucht; man reicht ihm sein Brot, und seine Wasserquellen versiegen nicht.“ Barnabas versteht die Geburtshöhle als Quellhöhle und bringt sie mit dem Taufwasser in Verbindung. Justin verweist mit der Erwähnung des Brotes auf die Eucharistie.
Moses (Ex 33,21-23) und Elias (1 Kön 19,12-23) erwähnen eine Epiphanie des Herrn in Verbindung mit einer Höhle. Bei Franz von Assisi und Benedikt von Nursia waren Höhlen ein wichtiger Ort für die Berufung.
Könnten wir in einer Höhle leben?