19.7.2022

Erfahrung

Erfahrung läßt sich nicht rekonstruieren. Es ist äußerst schwierig, wirklich auszudrücken, was man erfahren hat. Das gilt vor allem für transzendente Erfahrungen.

Hierzu gehören Gott und die Auferweckung des Gottessohnes, wobei von der Wirkung der Auferweckung auf die Geburt Jesu zu schließen ist. Wir können nur in Bildern ausdrücken, wer da geboren wurde. Er war Gott schon vor aller Zeit. Daher muß man auch die Geburtsgeschichten von Matthäus und Lukas ebenso wie die Schöpfungsgeschichte bildhaft verstehen. Adam und Eva hat es, wie dort dargestellt, nie gegeben.

Als die Menschen zu Bewußtsein kamen, hatten sie eine Vorstellung von einer höheren Macht. So entstand die Verehrung der Götter. Mit den Juden kam der Eingottglaube. Im Patriarchat mußte dieser Gott ein Mann sein.

Die wichtigste Erfahrung ist die der Transzendenz, des Göttlichen. Verleugnung der Transzendenz bedeutet den Verlust vieler wesentlicher Dimensionen des Menschseins.  Bischof Franz-Josef Bode (* 1951) schrieb 2015 in der  HERDER  KORRESPONDENZ  Nr. 8: „Ich würde heute dem jungen Priester Bode sagen: Nutze mehr die Möglichkeiten, mit den Menschen über Gott zu reden. Achte nicht so stark auf die etablierten Formen und Formeln des Glaubens, sondern suche das Gespräch über die Kernbotschaft des Evangeliums. Ich musste in meinem Leben erst lernen, überhaupt über Erfahrungen zu sprechen, den Glauben zu existenzialisieren und dies auch zu vermitteln. Heute denke ich, dies ist zentral, um den Glauben zum Menschen zu bringen. Ich darf nicht nur über etwas reden, ich muss es leben und mit meiner eigenen Existenz und Erfahrung zeigen und bezeugen.“ Diese Aussage entspricht genau dem, was Karl Rahner (1904-1984) bereits 1966 geschrieben hat: „Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“

Die Gottesdienste müßten mehr das Herz treffen als den Kopf; denn wir müssen die Sprache Gottes lernen.

Wir müssen gottfähig werden

Bischof Franz-Josef Overbeck äußerte in seiner Predigt vom 31. Oktober 2021 im St. Petri-Dom in Hamburg, das Christentum der Zukunft sei nicht mehr auf territoriale Pfarreien und Gemeinden begrenzt. Es müßten „Zentren von Spiritualität, Orte der Kontemplation, von geistlicher Begleitung, von Erfahrungsräumen im Glauben“ entstehen.

Vollständige Predigt von Bischof Franz-Josef Overbeck

 

Erfahrungen im Alten Testament

Jakob erfährt Gott auf der Himmelsleiter (Gen 28,10-16)

10  Jakob zog aus Beerscheba weg und ging nach Haran.  11 Er kam an einen bestimmten Ort, wo er übernachtete, denn die Sonne war untergegangen. Er nahm einen von den Steinen dieses Ortes, legte ihn unter seinen Kopf und schlief dort ein. 12 Da hatte er einen Traum: Er sah eine Treppe, die auf der Erde stand und bis zum Himmel reichte. Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder. 13 Und siehe, der Herr stand oben und sprach: Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks. Das Land, auf dem du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. 14 Deine Nachkommen werden zahlreich sein wie der Staub auf der Erde. Du wirst dich unaufhaltsam ausbreiten nach Westen und Osten, nach Norden und nach Süden, und durch dich und deine Nachkommen werden alle Geschlechter der Erde Segen erlangen. 15 Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst, und bringe dich zurück in dieses Land. Denn ich verlasse dich nicht, bis ich vollbringe, was ich dir versprochen habe. 16 Jakob erwachte aus seinem Schlaf und sagte: Wirklich, der Herr ist an diesem Ort, und ich wußte es nicht.

Mose erfährt Gott am Dornbusch (Ex 3,1-14)

1 Mose weidete die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian. Eines Tages trieb er das Vieh über die Steppe hinaus und kam zum Gottesberg Horeb. 2 Dort erschien ihm der Engel des Herrn in einer Flamme, die aus dem Dornbusch emporschlug. Er schaute hin: Da brannte der Dornbusch und verbrannte doch nicht. 3 Mose sagte: Ich will dorthin gehen und mir die außergewöhnliche Erscheinung ansehen. Warum verbrennt denn der Dornbusch nicht? 4 Als der Herr sah, daß Mose näher kam, um sich das anzusehen, rief Gott ihm aus dem Dornbusch zu: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. 5 Der Herr sagte: Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden! 6 Dann fuhr er fort: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Da verhüllte Mose sein Gesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. 7 Der Herr sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid. 8 Ich bin herabgestiegen, um sie der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen, in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter. 9 Jetzt ist die laute Klage der Israeliten zu mir gedrungen, und ich habe auch gesehen, wie die Ägypter sie unterdrücken. 10 Und jetzt geh! Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus! 11 Mose antwortete Gott: Wer bin ich, daß ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten herausführen könnte? 12 Gott aber sagte: Ich bin mit dir; ich habe dich gesandt, und als Zeichen dafür soll dir dienen: Wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast, werdet ihr Gott an diesem Berg verehren. 13 Da sagte Mose zu Gott: Gut, ich werde also zu den Israeliten kommen und ihnen sagen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt. Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen darauf sagen? 14 Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin der »Ich bin da«. Und er fuhr fort: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der »Ich bin da« hat mich zu euch gesandt.

Elija erfährt Gott am Horeb im Schweigen (1 Kön 19,8-13)

8 Da stand er auf, aß und trank und wanderte, durch diese Speise gestärkt, vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb. 9 Dort ging er in eine Höhle, um darin zu übernachten. Doch das Wort des Herrn erging an ihn: Was willst du hier, Elija? 10 Er sagte: Mit leidenschaftlichem Eifer bin ich für den Herrn, den Gott der Heere, eingetreten, weil die Israeliten deinen Bund verlassen, deine Altäre zerstört und deine Propheten mit dem Schwert getötet haben. Ich allein bin übriggeblieben, und nun trachten sie auch mir nach dem Leben. 11 Der Herr antwortete: Komm heraus, und stell dich auf den Berg vor den Herrn! Da zog der Herr vorüber: Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriß und die Felsen zerbrach, ging dem Herrn voraus. Doch der Herr war nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. Doch der Herr war nicht im Erdbeben. 12 Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch der Herr war nicht im Feuer. Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln.13 Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle. Da vernahm er eine Stimme, die ihm zurief: Was willst du hier, Elija? 14 Er antwortete: Mit Leidenschaft bin ich für den Herrn, den Gott der Heere, eingetreten, weil die Israeliten deinen Bund verlassen, deine Altäre zerstört und deine Propheten mit dem Schwert getötet haben. Ich allein bin übriggeblieben, und nun trachten sie auch mir nach dem Leben.

 

GotteserfahrungKleine Ermutigung zur mystagogischen Seelsorge

Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, „oder er wird nicht mehr sein“. Es ist längst Zeit, dieses prophetische Wort Karl Rahners zu beherzigen. Seelsorge muss heute noch stärker ernst nehmen, dass jeder und jede bereits eine Erfahrung mit Gott gemacht hat. Es braucht daher eine demütige Pastoral, die sich gemeinsam mit den Menschen auf die Suche nach den Spuren Gottes im Leben begibt.

Von Mariano Delgado

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