Gedanken zu Lesefrüchten (10.5.2021)

Wenn ich etwas Neues sehe, bringe ich es manchmal mit etwas mir Bekanntem in Verbindung. So ist es auch beim Lesen. Das Gelesene kann etwas zum Ausdruck bringen, was ich schon immer gedacht habe, nur so noch nicht formulieren konnte. Gleichzeitig entsteht ein Nachdenken, das mich zu weiteren Erkenntnissen führt.

Das Leben auf dieser Erde ist, obwohl viele Menschen älter werden als früher, eine kurze Zeit. Inzwischen bin ich 85 Jahre alt und schaue der Zeit, zu der ich heimgeholt werde, gelassen entgegen. Über die Vergänglichkeit denke ich heute mehr nach als in jungen Jahren. Zwei Lesefrüchte zu diesem Thema haben mich sehr beeindruckt.

ÜBER VERGÄNGLICHKEIT

Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen:
Wie kann das sein, daß diese nahen Tage
Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?
Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,
Und viel zu grauenvoll, als daß man klage:
Daß alles gleitet und vorüberrinnt.
Und daß mein eignes Ich, durch nichts gehemmt,
Herüberglitt aus einem kleinen Kind
Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.
Dann: daß ich auch vor hundert Jahren war
Und meine Ahnen, die im Totenhemd,
Mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar,
So eins mit mir als wie mein eignes Haar.

(Hugo von Hofmannsthal, 1874-1929)

NUN SICH DER TAG GEENDET

1) Nun sich der Tag geendet,
mein Herz zu dir sich wendet
und danket inniglich;
dein holdes Angesichte
zum Segen auf mich richte,
erleuchte und entzünde mich.

2) Ich schließe mich aufs Neue
in deine Vatertreue
und Schutz und Herze ein;
die irdischen Geschäfte
und alle finstern Kräfte
vertreibe durch dein Nahesein.

3) Dass du mich stets umgibest,
dass du mich herzlich liebest
und rufst zu dir hinein,
dass du vergnügst alleine
so wesentlich, so reine,
lass früh und spät mir wichtig sein.

4) Ein Tag, der sagt dem andern,
mein Leben sei ein Wandern
zur großen Ewigkeit.
O Ewigkeit, so schöne,
mein Herz an dich gewöhne,
mein Heim ist nicht in dieser Zeit.

(Heinrich Isaak, 1450-1517)

* * * * *

Das Leben eines einzelnen Menschen auf dieser Erde ist überschaubar. Wie ist es aber mit der gesamten Menschheit? Eine Begegnung zweier Planeten ergab folgendes Ergebnis:

Treffen sich zwei Planeten. Sagt der eine: „Hey, wie geht´s?“ Antwortet der andere: „Ach, nicht so gut. Ich glaub, ich hab Homosapiens.“
„Oh, das ist schlimm“, sagt der erste, „das hatte ich auch schon. Aber weißt du was? Das geht vorüber.“

Es werden die Insekten sein, die auch dann die Erde noch bevölkern, wenn homo sapiens, jene bisher größte Plage des Planeten Erde als Opfer seiner selbst ausgestorben ist.

Am 4. April 2021 veröffentlichte geo.de einen Artikel von Walter Willems zur Existenz des Menschen auf dieser Erde unter der Überschrift „Neue DNA-Analysen enthüllen Schicksal der ersten Menschen in Europa“ und den einleitenden Zeilen „Studien geben Einblick in die ersten modernen Menschen in Europa. Die Genom-Analysen enthüllen nicht nur ihr Schicksal, sondern könnten auch das Verschwinden der Neandertaler erklären“.