
Gedanken zu Lesefrüchten (12.4.2021)
Wenn ich etwas Neues sehe, bringe ich es manchmal mit etwas mir Bekanntem in Verbindung. So ist es auch beim Lesen. Das Gelesene kann etwas zum Ausdruck bringen, was ich schon immer gedacht habe, nur so noch nicht formulieren konnte. Gleichzeitig entsteht ein Nachdenken, das mich zu weiteren Erkenntnissen führt.
Georges Bernanos (* 20.2.1888 in Paris, † 5.7.1948 in Neuilly-sur-Seine/Hauts-de-Seine/F) – Schriftsteller
Bernanos, Georges
Journal d’un Curé de Campagne: Paris 1936
Übersetzung ins Deutsche:
Tagebuch eines Landpfarrers: Wien 1936
In der augenblicklichen Kirchenkrise habe ich noch einmal das „Tagebuch eines Landpfarrers“ hervorgeholt. Ich habe den Eindruck, was Frankreich bereits hinter sich hat, steht Deutschland noch bevor. Ich habe das Buch schon im Studium gelesen und mich gefreut, als mein Primizprediger es zitierte, weil es mich schon immer tief beeindruckt hatte.
Der Pfarrer von Torcy an den Landpfarrer:
„Ich kann wahrhaftig nichts dafür, daß ich wie ein Totengräber herumlaufe. Übrigens kleidet sich der Papst in Weiß und die Kardinäle in Rot. Von Rechts wegen müßte ich wie die Königin von Saba gekleidet einhergehen, denn ich bringe die Freude. Ihr könntet sie umsonst von mir haben, wenn ihr sie nur wolltet. Die Kirche verfügt über die Freude, über den ganzen Anteil von Freude, der dieser traurigen Welt beschieden ist. Was man wider die Kirche tut, hat man wider die Freude getan. Ich hindere doch niemand daran, die Verschiebung der Tag-und-Nacht-Gleichen zu berechnen oder Atome zu zertrümmern. Aber was würde es euch helfen, wenn ihr sogar das Leben künstlich herstellen könntet und hättet den Sinn für das Leben verloren?“
Der Roman schließt mit den Worten des sterbenden Landpfarrers:
„Was macht das schon aus? Alles ist Gnade“.
Am 29. Mai 1952 sah ich den Film „Aus dem Tagebuch eines Landpfarrers“. Damals schrieb ich in mein Tagebuch:
Besonders hat mir der Satz gefallen, den der Pfarrer ausspricht, als er der Gräfin den Segen erteilt: ‚Wie schön ist es doch, etwas zu geben, was man nicht hat’. Und darin sehe ich die große Aufgabe eines Priesters, Vermittler von Gott zu Mensch.“
Als Primizspruch habe ich gewählt: „Wir sind nicht Herren eures Glaubens, sondern Diener eurer Freude.“
Inzwischen habe ich viele Erfahrungen sowohl mit mir selbst als auch in meiner Tätigkeit als Seelsorger mit zahlreichen Menschen gemacht. Ich habe gelernt, nicht „warum“, sondern „wozu“ zu fragen, wenn mir etwas Unerfreuliches geschieht. Das Wort des sterbenden Pfarrers hat mir bei einer solchen Erfahrung schon oft sehr geholfen.
Siehe auch Aktuelles vom 13. Dezember 2015 – Karl Leisner und Georges Bernanos
und
Aktuelles vom 14. November 2013 – „Das Tagebuch eines Landpfarrers“ von Georges Bernanos beeindruckte Karl Leisner.
Siehe auch Themenfeld „warum - wozu“.