Gedanken zu Lesefrüchten (13.12.2021)
Wenn ich etwas Neues sehe, bringe ich es manchmal mit etwas mir Bekanntem in Verbindung. So ist es auch beim Lesen. Das Gelesene kann etwas zum Ausdruck bringen, was ich schon immer gedacht habe, nur so noch nicht formulieren konnte. Gleichzeitig entsteht ein Nachdenken, das mich zu weiteren Erkenntnissen führt.
Es gibt nichts, von dem das Gegenteil nicht auch richtig ist. Ein bekanntes Beispiel für die ambivalente Betrachtungsweise ist die mit 500 ccm Flüssigkeit gefüllte Literflasche. Diesbezüglich läßt sich mit gleicher Berechtigung sagen: „Die Flasche ist halbvoll“ oder „Die Flasche ist halbleer.“ Je nach Vorliebe oder Abneigung für die Flüssigkeit formuliere ich: „Die Flasche ist schon halbleer“ oder „Die Flasche ist noch halbvoll.“ Hier liegt es am Betrachter, wie er die Sache sieht.
Wenn wir den Mund aufmachen, „lügen“ wir; denn nicht selten können wir nur die halbe Wahrheit sagen. Warum lassen wir nicht öfter auch die gegenteilige Aussage gelten? Das könnte in vielen Fällen eine große Bereicherung sein. Gegensätze sollten wir als solche sehen, die sich ergänzen. Für mich ist Gott der Zusammenfall der Gegensätze.
Aber es gibt auch die richtige Lüge. Sie ist so alt wie die Menschheit. Unwahrheit, Halbwahrheit, Notlüge oder Scheinwahrheit sind ihre Erscheinungsformen. Oft wollen wir die Wahrheit weder sagen noch wissen. Sollte ein Patient immer über seinen Zustand bis ins Detail aufgeklärt werden? Die Lüge ist ein Instrument der Verstellung, sie verlangt Erfindungsgeist und ein hervorragendes Gedächtnis.
Manche Menschen belügen sich selbst und glauben, was sie sagen, sei wahr.
Viola Ulrich schrieb in ihrem Artikel auf welt.de vom 26. Februar 2021: „Wer langsam antwortet, dem wird nicht geglaubt und eher als Lügner wahrgenommen.“