Gedanken zu Lesefrüchten (20.9.2021)

Wenn ich etwas Neues sehe, bringe ich es manchmal mit etwas mir Bekanntem in Verbindung. So ist es auch beim Lesen. Das Gelesene kann etwas zum Ausdruck bringen, was ich schon immer gedacht habe, nur so noch nicht formulieren konnte. Gleichzeitig entsteht ein Nachdenken, das mich zu weiteren Erkenntnissen führt.

„Abgestorbenes Blatt“

nennt ein junger Winzer seinen Wein. Wieso? Ohne das tote Blatt gibt es keinen lebendigen Wein.

Das Blatt nimmt das Sonnenlicht durch das Chlorophyll auf und gibt die verwandelte Energie als Fruchtsaft in den Weinstock ab und stirbt. Aus dem von ihm erzeugten, dem Weinstock zugeführten Leben nähren sich die Reben, Trauben und Beeren.

Für die alten Völker war der Wein ein Geschenk der Götter. Israel empfand sich selbst als Weinberg Gottes.

In der frühen Antike wurden die Trauben unter den tanzenden Füßen zerstampft. In dieser Weise gebrochen und getötet, wurde das Blut des Rebstocks abgefüllt. In Gefäßen erfährt der Saft seine Grabesruhe und singt die Todes- und Lebenssymphonie seiner Wandlung. Die blubbernde, siedende und gurgelnde Gärung betrachteten die Griechen als Totenklage des von den Titanen in Stücke gerissenen Dionysos. Wenn aus der Einkelterung der klare Wein hervorging, sahen sie darin seine Auferstehung. Nicht erst Friedrich Hölderlin (1770-1843) betrachtete Christus als einen Bruder des Dionysos.

 

 

 

 

 

Ein Weinstock verlangt vom Winzer das ganze Jahr über Arbeit. Eine wichtige Tätigkeit ist das Zurückschneiden. Der Höhepunkt liegt in der Verwandlung des herausgepreßten Fruchtsaftes.

Auch Jesus greift das Bild vom Weinstock auf. „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“ (Joh 15,5) Das Wunder von Kana geschieht jedes Jahr aufs neue: Die Sonne, Bild für Christus, wandelt das Wasser des Bodens in den Wein der Traube.