Gedanken zu Lesefrüchten (25.5.2020)

Wenn ich etwas Neues sehe, bringe ich es manchmal mit etwas mir Bekanntem in Verbindung. So ist es auch beim Lesen. Das Gelesene kann etwas zum Ausdruck bringen, was ich schon immer gedacht habe, nur so noch nicht formulieren konnte. Gleichzeitig entsteht ein Nachdenken, das mich zu weiteren Erkenntnissen führt.

Riten und Rituale

In den EZW-TEXTEN 261/2019 brachte Martin Affolderbach in dem Artikel „Der Religionsdialog drängt in die Kirche – Interreligiöse Entwicklungen in den skandinavischen Ländern“ in den Abschnitten 4.3 und 5 bemerkenswerte Beiträge zum Thema „Rituale“.[1]:
4.3 Dänemark - kirchliche Handlungen als Rituale
Die Rolle von Ritualen wird soziologisch beleuchtet: Historisch gesehen hätten Rituale vor allem zur Legitimation von Institutionen gedient. In einer differenzierten Gesellschaft sei es heute jedoch notwendig, eine rituelle Kreativität zu entfalten. So wird beispielsweise angeregt, neue Rituale in den eigenen vier Wänden zu entwickeln und zu erproben, um besonders für den Austausch zwischen Menschen unterschiedlicher Überzeugungen Raum zu schaffen.
Der theologische Beitrag zu Ritualen bringt die Vielzahl von Ritualen ins Bewusstsein, die in der kirchlichen Agende [...] zusammengestellt sind. Dies solle eine einheitliche und autorisierte Anwendung sicherstellen. Der Begriff Ritual wird nicht eigens definiert, jedoch wird ausgeführt, dass kirchliche Rituale theologisch dem dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses zuzuordnen seien, da sie in Beziehung zu Gottes Anwesenheit durch den Heiligen Geist stehen. Rituale schlössen oft den Segen Gottes ein. Im lutherischen Lehrverständnis seien Rituale jedoch zu den sogenannten Adiaphora zu zählen, also den Dingen, die nicht heilsnotwendig seien und theologisch und ethisch unterschiedlich beurteilt werden können. Jedoch müssten sie der Verkündigung dienen und seien damit der Wortverkündigung zugeordnet. Die Gnade Gottes sei an nichts gebunden; deshalb könne Gott auch durch ein Ritual neues Leben bewirken. Rituale seien nicht einfach Alltag, sondern stehen gerade in Spannung zu diesem. Sie könnten die Bewegung von Altern zu Neuem, vom Tod zum Leben oder von Einsamkeit zur Gemeinschaft symbolisieren, wie kirchliche Handlungen es tun.
Nach der Auflistung von Situationen, in denen heute vor allem in einem multi religiösen Kontext Rituale ihren Platz haben, wird die Rolle von Ritualen in einer psychologischen Skizze beleuchtet. Es wird ausgeführt, dass Menschen durch Werte und Gefühle gesteuert werden, die teilweise unbewusst und tief verankert seien. In Lebensübergängen und Krisen spielten diese eine besondere Rolle, könnten aber auch in solchen Situationen bei einer Reorganisierung des Alltags oder von Einstellungen und Befindlichkeiten helfen. Paare mit unterschiedlichen religiösen Prägungen, besonders solche mit festen Überzeugungen und geringer Toleranz gegenüber Andersdenkenden, könnten dabei besonderen Spannungen und Anforderungen ausgesetzt sein. In solchen Konstellationen könnten nahe Freunde, aber auch Geistliche hilfreiche Gesprächspartner sein, um Krisen durch Gespräch und Bewusstmachen von Gefühlen zu bewältigen. Auch Kirchengemeinden könnten eine hilfreiche Rolle spielen.“
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„5 Kulturelles Gedächtnis und dialogische Offenheit - eine Zusammenfassung“
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„Ein Akteur im Religionsdialog lässt sich mit einem Baum vergleichen. Je tiefere Wurzeln ein Baum hat, desto länger kann die Krone ihre Zweige ausstrecken, ohne dass der Baum im Sturm umfällt. So ist es auch mit den Mitgliedern der Volkskirche, die sich im Religionsdialog engagieren: Je stärker er oder sie in der Tradition der Kirche verwurzelt ist, ihren Ritualen, ihrer Spiritualität und ihrer Lehre, desto weiter kann er oder sie Anhängern anderer Religionen entgegenkommen, sie zu verstehen versuchen und auch mit ihnen zusammenarbeiten, ohne seine bzw. ihre christliche Identität zu verlieren.“ (Magens S. Mogensen, Kirche und interreligiöser Dialog in Dänemark, 13)
[1] Bericht der Projektgruppe zu kirchlichen Amtshandlungen in einer Gesellschaft mit verschiedenen Religionen und Weltanschauungen – Tzenketanke om kirkelige handlinger i et samfund med forskellige religioner og livssyn, Frederiksberg 2016

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Siehe auch Impuls vom 25. Mai 2019 – Riten und Rituale.