2.3.2022

Geschichte des Hungertuches

Der ursprüngliche Zweck der Verhüllung war ein „Fasten der Augen“. In den mittelalterlichen Quellen werden die Fasten- oder Hungertücher „velum quadragesimale = Fasten(zeit)vorhang“ und in Anlehnung an das Schlußwort beim Evangelisten Markus (Mk 15,38) „Da riß der Vorhang im Tempel von oben bis unten entzwei“ „velum templi = Tempelvorhang“ genannt.

Im östlichen Alpenraum und vor allem in Kärnten kennt man diese Vorhänge unter dem Namen „Fastentücher“. In Tirol findet man gelegentlich die Bezeichnung „Leidenstücher“. Im niederdeutschen Sprachgebrauch existiert der Begriff „Schmachtlappen“. Im alemannischen Sprachraum, aber auch in Westfalen und in Sachsen heißen sie „Hungertücher“. Bereits 1306 findet man in einer münsterschen Chronik den Ausdruck „hungerdoeck“.

Die Verben „fasten", „hungern“ und auch „schmachten“ deuten darauf hin, daß man im deutschen Sprachraum die Fastenzeit tatsächlich als echte Abstinenz verstanden hat. Nicht von ungefähr gebraucht man den Ausdruck „Schmachtlappen“ umgangssprachlich immer noch für einen Hungerleider oder einen auffallend dünnen Menschen.

Die Redensart „am Hungertuch nagen“ bedeutet im ursprünglichen Sinn „Mangel leiden“. Das Verb „nagen“ kommt allerdings vom Niederdeutschen „najen = nähen“ und bietet einen Hinweis darauf, daß viele Hungertücher in der Technik der Netzstickerei mit der Nadel gefertigt wurden.

 

Fastentuch in St. Johanni, Billerbeck