6.10.2018

Grün

Wie würden Sie reagieren, wenn man Ihnen sagte: „Gott ist grün“? Die heilige Hildegard von Bingen war der Meinung, von allen Far­ben sei Gott am ehesten mit Grün in Verbindung zu bringen.

In ihrer Gedankenwelt ist die Grün-Kraft, die viriditas, einer der wichtigsten Begriffe. Das Grün des Fingers Gottes weist bei ihr auf die Schöpfung hin. Im Ur­sprung der Schöpfung war die Grünkraft so stark, daß noch kein Kunstdünger nötig war, um den Boden fruchtbar zu machen. Erst durch die Sünde ist die Grünkraft geschwächt und vom Verdorren bedroht. Maria ist bei Hil­degard die „virgo viridissima“, die grünste Jungfrau. Auch der emeritierte Erzbischof von Canterbury (1991-2002), Georg Leonard Carey (* 1935) meint, Gott sei grün.

Im Mittelalter war Grün sowohl die Farbe für den Heiligen Geist als auch für den Teufel. Die durch die Farbe Grün symbolisierte Wachstumskraft wird transzendiert zur Wandlungskraft des Heiligen Geistes.

Grün kommt vom Germanischen „gro“, was „wachsen“ und „gedeihen“ bedeutet, diese Wurzel findet sich noch im englischen Verb „to grow“ für „wachsen“. Grün ist auch die Farbe des Blatt­farbstoffs Chlorophyll. Jedes Blatt ist gleich­sam eine chemische Fabrik. Kohlendioxyd wird in Sauerstoff verwandelt; was Mensch und Tier ausatmen, atmen die Pflanzen ein. Das Chlo­rophyll fängt die sichtbaren Teilchen des Lichtes, die Photonen, ein und wandelt sie in che­mische Energie um; denn nur diese Energieform kann der Organismus nutzen. Menschen und Tiere atmen nicht ohne das Grün der Pflanzen. Im Herbst baut sich das Chlorophyll ab, und das gelbe Xanto­phol sowie das rote Karotin bleiben übrig. Daher rührt auch die bunte Pracht des Herbstes mit der Gelb-, Braun- und Rotfärbung der Blätter und Früchte.

Grün gehört zum Menschen, zur Vegetation und zur Hoffnung. Der Ölbaumzweig zeigte Noe im ersten Grün nach der Sintflut, daß das Leben weiterging. Nach dem Winter wächst ein grüner Sproß aus „totem“ Holz. Die Farbe Grün verbinden wir oft mit einem Baum. Manche Menschen pflanzen einen Baum bei der Geburt eines Kindes. Er deutet auf Leben. In Psalm 23 heißt es: „Er weidet mich auf grünen Auen.“

Im Islam ist Grün eine heilige Farbe; denn Wüstenbewohner verbinden damit das Paradies. Liegt eine grüne neben einer roten Erdbeere, denkt man bei Grün an Unreife. Verallgemei­nerungen führen dazu, daß Grün für Jugend steht, so heißt es zum Beispiel: „Der ,Grünschnabel’ ist noch ,grün hin­ter den Ohren’.“ Grün symbolisiert aber auch das Abnehmen des Lichtes und der Wärme, den früchtebringenden Herbst. In der Natur ist Grün die Farbe des Gesunden und des Fri­schen, wir erholen uns bei einer Fahrt ins Grüne. Grün ist das Beruhigungsmittel für Choleriker, es bringt Entspannung und Erho­lung. Grün erscheint stabil und fest, dement­sprechend ordnen wir es dem Gefühl der in­neren Stabilität und der beharrenden Konse­quenz zu.

Grün ist eine der wichtigsten und damit zen­trale Farbe in unserem Leben. Sie ist die Mitte des Farbsystems, auf halbem Weg zwi­schen himmlischem Blau und irdischem Rot symbolisiert sie Ausgleich und Ruhe. Im Straßenverkehr ist Grün positiv besetzt, es erlaubt freie Fahrt. Grün steht aber auch für giftig, weil früher die grünen Malerfarben Arsen enthielten. Dunkelgrün war eine billige Farbe; deswegen fertigte man die einfachen Filz- und Lodenstoffe in dieser Färbung. Solche Stoffe wurden auch für Spiel- und Schreibtische verwendet, und an solch „grünen Tischen“ wird oft reali­tätsfremd geplant.

Was bedeutet für mich die Farbe Grün?