9.10.2020

Das Herz als Muskel

Das Herz ist rein physiologisch eine zentrale Stelle im Stoffwechsel; denn ohne Pumpe gibt es keinen Kreislauf, keine Atmung, kein Leben. Als zentralem Kreislauforgan, das für die Aufrechterhaltung des Lebens unerläßlich ist und besondere Situationen durch auffälliges Klopfen signalisiert, wurden dem Herzen in vielen alten Kulturen Rollen zugeschrieben, die ihm bei rationaler Betrachtungsweise nicht zukommen. Psychosomatische Störungen kennen wir von allen Organen, aber am Herzen sind sie quälender und gefährlicher als an irgendeiner anderen Stelle des Körpers. Das Herz war lange ein privilegiertes Organ. Dann kam die Herz-Lungen-Maschine, die es ermöglichte, das Herz zur Operation vorübergehend stillzulegen.

Am 3. Dezember 1967 erfolgte die erste Herzverpflanzung durch den Herzchirurgen Christiaan Barnard (1922-2001). Manchen Menschen diente sie als Beweis, daß das Herz nur eine austauschbare Pumpe ist.

Die Erfolge der inneren Medizin und der Chirurgie haben das Herz zu einer reparierbaren und sogar austauschbaren Pumpe degradiert, es zum bloßen Muskel werden lassen, der wie jeder andere funktioniert, wenn auch ungleich komplizierter und störanfälliger. Durch die erste Herztransplantation wurde plötzlich deutlich, daß das Herz nicht mehr Sitz des Lebens und der Seele ist. Es hat seine ihm in großen Kulturen schon frühzeitig beigemessene Symbolkraft, die bis in den Volksglauben, die Sagen und Märchen sowie die Literatur des Abendlandes hineinreichte, weitgehend eingebüßt. Aber die Zeit hat gezeigt, daß Herz und Psyche doch untrennbar miteinander verbunden sind. Frisch am Herzen operierte Menschen verlieren zum Beispiel das Gefühl für geliebte Menschen und klagen über Persönlichkeitsveränderungen. Was ein transplantiertes Herz im Empfänger bewirkt, wird äußerst selten angesprochen. In bezug auf die Angehörigen eines Spenders ist mir die Geschichte eines Elternpaares bekannt, das seine kleine Tochter „Herzchen“ nannte. Als sie im Sterben lag, willigten die Eltern in die Herzorganspende ihrer Tochter für ein Kleinkind ein und hatten so die Vorstellung, ihr „Herzchen“ lebe noch.

Dr. Reinhard Friedl:
Als Herzchirurg greife ich tief in den Brustkorb und lege Hand ans Herz. Ein Herz ist es nicht gewohnt, angefasst zu werden. Herzen können auf Berührung sehr empfindlich reagieren. Manche erschrecken förmlich und antworten mit Rhythmusstörungen. Doch selbst kranke Herzen sind stark, so stark, dass es mich immer wieder erstaunt, welche Kraft ihnen innewohnt. Wenn sie in meiner Hand liegen, fühlt es sich an, als seien sie die Essenz des Lebens, der pure, unbedingte Lebenswille.

Der Mensch ist neu auf der Erde, das Herz nicht. Die ersten Tiere mit einem richtigen Herzen waren vor 500 Millionen Jahren die Fische.

Das Herz wird zum Zentrum aller seelischen und geistigen Lebensäußerungen. Wie kann der Hirntod akzeptiert werden, wenn das Herz noch schlägt?

Alle medizinischen Handlungen am Herzen haben der Symbolik des Herzens nichts anhaben können. Immer noch glauben die Menschen an die geheimen Kräfte des Herzens.

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Mir persönlich ist es sehr wichtig, daß ich im Sterben in Ruhe gelassen werde. Deshalb erkläre ich immer wieder, warum ich kein Organspender bin.