22.2.2022

Ich im Alles und Nichts

Für die Wirklichkeit, in der wir leben, gibt es keinen Anfang und kein Ende. Es ist Alles und Nichts (Warum ist nicht nichts?) Wir nennen diese Wirklichkeit Gott oder Transzendenz.

Die Juden stellen sich vor, Gott habe sich zurückgezogen, um Raum zu schaffen für die Schöpfung. Dieses Sichzurücknehmen Gottes nennen sie „Zimzum“ oder „Tzimtzum“ (hebr. צמצום = Kontraktion).

Vor der Schöpfung war außer Gott rein gar nichts. Nun nimmt Gott sich zurück und schafft einen mystischen Hohlraum. Dadurch wird die Existenz des Weltalls möglich und Gott als Schöpfer. An diesem Punkt setzen die ersten Kapitel der Bibel ein (vgl. Gen 1,1-11).

Gott existiert in seiner Schöpfung und er als Schöpfer in ihr, und zwar in Polarität als Sowohl-als auch, Licht und Dunkel, Leben und Sterben, Trocken und Naß und vieles mehr. Alles hat seinen Sinn und seine Aufgabe.

So bin ich im Schoß meiner Mutter durch die Liebe mit meinem Vater entstanden. Meine Seele, die seit Ewigkeit in Gott lebt, wurde ein leiblicher Mensch. Ich durfte wachsen und mich entfalten.

Mich beschäftigt die Frage, warum ich gerade in dieser Zeit geboren wurde und einige Zeit leben soll, bis ich wieder heimgehe zu Gott, der doch jetzt schon in mir lebt und ich in ihm, wie ich es mit  14 Jahren schon in mein Religionsheft schrieb.

Einen ersten Grund sehe ich darin, in der Ferne der Welt die Heimat in Gott schätzen zu lernen. Einen zweiten Grund erkenne ich darin, über viele Wege (Meine Vita) derjenige zu sein, der ich jetzt nur noch bin: Ein Spiritual, der den Menschen helfen darf, sie selbst zu werden.

Die Menschwerdung des Menschen reicht mindestens 6 Millionen Jahre zurück. Vor gut 2000 Jahren wurde Gott in Jesus kein beliebiger Mensch, sondern ein Homo sapiens sapiens. Das Konzil von Chalcedon (451) spricht vom wahren Gott und wahren Menschen, unvermischt und ungetrennt.

Nach meiner Meinung fallen in Gott die Gegensätze zusammen. Dieses Phänomen unterscheidet auch Jesus von uns.

Mich läßt aber die Frage nicht los, warum Million Jahre vergehen mußten, bis das Ewige Wort des Vaters Fleisch wurde „in unserem armen Fleisch“ (Martyrologium an Weihnachten). Die Inkarnation Gottes läßt uns als Menschen einzigartig heraustreten; denn wir dürfen glauben: Gott ist in uns, und wir sind in ihm.

In meinem hohen Alter lebe ich nach dem Motto des Hl. Martin: „Er weigerte sich nicht zu leben und fürchtete sich nicht zu sterben.“