24.7.2022

ICH und DU

Ergänzung zu „Das unverschämte Ich“ und „Der notwendige Andere“

Da die Schöpfung polar ist, ist auch der Mensch ein geteiltes Wesen. Er sehnt sich nach Ganzheit. Somit befindet er sich auf einer Suchwanderung, ja sogar einer Schatzsuche. Findet er die Liebe, wird der Mangel behoben. Da gibt es die Nähe der Begegnung vom Du und Ich, von Wort und Antwort. Verantwortung ist dann die Grundlage für die Liebe.

Was zählt das Ich ohne sein Gegenüber? Laut Martin Buber (1878-1965) wird der Mensch nur durch das Eingehen „in die Wesensbeziehung“ „als Mensch offenbar“ und gelangt erst so zur vollen „Teilnahme am Sein“. Für Martin Buber steht „das Du-Sagen des Ich im Ursprung alles einzelnen Menschenwerdens“, und die Ich-Du-Beziehung zwischen zwei Menschen ist eng mit der Beziehung zwischen Gott und dem Menschen verbunden.

Wir Menschen sind versucht, Gott als Person anzusehen. Das birgt die Gefahr, ihn als ein Gegenüber zu betrachten. Aber wir können nicht anders, als aus der Polarität heraus denken. Nur im Erfahren erleben wir, daß Gott in uns ist und wir in IHM leben.

Der Mensch ist ein gemeinschaftsbezogenes Individuum. Schon auf der biologischen Ebene bedarf er der Gemeinschaft. Das Kleinkind kann nicht alleine leben. Unter günstigen Umständen gelingt es einem Erwachsenen, als Eremit zu überleben.

Im Streben nach Autonomie wird der Mensch nicht selten bindungslos und vereinsamt. Es besteht ein Konflikt zwischen seinem Wunsch nach Freiheit und seinen Bindungsbedürfnissen. Manche Menschen ziehen es vor, alleine zu leben, statt sich in einer Bindung zu verbiegen.

Pablo Picasso (1881-1973):
Nichts kann ohne Einsamkeit entstehen. Ich habe mir eine Einsamkeit geschaffen, die niemand ahnt.

Rainer Maria Rilke (1875-1926):
Darin besteht die Liebe: Daß sich zwei Einsame beschützen und berühren und miteinander reden.

Distanz und Beziehung prägen das Verhältnis von Mensch zu Mensch. Dabei ist es wichtig, die Selbständigkeit des anderen zu akzeptieren. Nur so kann jeder immer mehr sein Selbst entwickeln. Die Problematik von Ich und Du als WIR zeigt sich in der Beziehung von Frau und Mann, und zwar besonders in der Ehe.

In der elliptischen Spannung von Ich und Du begegnen sich zwei Subjekte in eigenem Recht und eigener Verantwortung, und doch bleiben beide aufeinander bezogen, werden füreinander zur existenziellen Bedeutung.

Das ist eine paradoxe Situation. Einerseits hat die Evolution den Menschen mit dem Verlangen nach gelingenden Beziehungen geschaffen, ihn andererseits aber nicht hinreichend mit einem gute Beziehungen garantierenden Automatismus ausgestattet.

Ohne Ausrichtung auf Gemeinschaft und gemeinsames Streben nach Freiheit ist Selbstverwirklichung kaum möglich. Nur wenn diese Parameter erfüllt sind, stehen individuelle Persönlichkeiten und Gemeinschaften nicht in Konkurrenz zueinander, sondern bedingen sogar einander, um zusammen zu ihrer Vollendung zu finden.

Ein Ich ohne Du ist wie ein Fisch ohne Wasser, wie ein Vogel im luftleeren Raum. Ohne Du empfindet der Mensch eine fatale Leere. Jeder Mensch braucht das auf Verstehen, Freundschaft und Liebe basierende Du.

Der Zugang zu unserem Selbst führt nur über Menschen. Je näher wir einem Menschen stehen, desto tiefere Schichten unseres Wesens erreichen wir.

Wenn das Ich mit dem Du eins wird, vermittelt uns diese Auflösung des Gegenübers eine Ahnung vom Einssein mit dem ALLEINEN.