Impuls zum 24. Sonntag im Jahreskreis B – Menschensohn (12.9.2021)
Erste Lesung: Jes 50,5-9a
Zweite Lesung: Jak 2,14-18
Evangelium: Mk 8,27-35
Eines der tief sitzenden Worte meiner Mutter aus meiner Kindheit lautet: „Hans-Karl, was sollen die Leute denken?“ Ich habe lange gebraucht, mich davon nicht mehr bestimmen zu lassen, nehme aber dennoch Rücksicht auf die Empfindungen anderer Menschen. Das tut auch Paulus mit seinem Hinweis, Christen könnten eigentlich Götzenopferfleisch essen, weil es keine Götzen gebe, aber sie müßten Rücksicht auf die anderen nehmen (vgl. 1 Kor 8,1-13).
Aber ich möchte auch meine Wahrheit leben. Ein Mitbruder sagte mir in einem Gespräch, er sei aus·einem Traum erwacht und habe spontan gedacht: „Ich möchte verrückt sein, dann wäre ich frei von all den Zwängen, die meine Umwelt mir auferlegt.“
Jesus wird von seinen Angehörigen angesehen als einer, der von Sinnen ist (vgl. Mk 3,20f). Vom Volk wird er erfahren als einer, der mit Vollmacht redet (vgl. Mk 1,22; Mt 7,28f; u. Lk 4,32). Oft wird ein und dieselbe Person von verschiedenen Menschen ganz unterschiedlich wahrgenommen. Vermutlich ist sie beides, ein Weiser und ein Narr. Gehören sie am Ende zusammen und bilden ein unzertrennliches Paar?
Auch im heutigen Evangelium gibt es voneinander abweichende Sichtweisen. Die Menschen halten Jesus für Johannes den Täufer, für Elija oder für einen der Propheten (Lk 9,18f).
Wir wollen weise sein und beschweren uns nicht, wenn uns jemand dafür hält. Was aber empfinden wir, wenn uns jemand für verrückt erklärt? Wer will schon als Narr gelten? Wenn wir mit wachen und offenen Augen in das Leben schauen, finden wir beides, oft sogar nebeneinander; denn diejenigen, die das Leben sehr ernst nehmen und es mit Anstrengung meistern, gehören ebenso zusammen wie diejenigen, die es auf die leichte Schulter nehmen und zu scheitern scheinen.
Im Theater wechseln die ernsten Rollen mit den lustigen. In Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832) „Faust“ wechselt Faust mit dem Famulus oder Kasper, in Wolfgang Amadeus Mozarts (1756-1791) „Zauberflöte“ wechselt Tamino mit Papageno. Im Zirkus wechselt der Trapezkünstler, der konzentriert und mit Anstrengung seine Vorführung macht mit dem Clown, der eine Leiter nicht zu gebrauchen weiß. Nach dem angespannten Zuschauen der Zirkusbesucher beim Trapezakt, folgt die Lockerung durch das Lachen über den ungeschickten Clown.
Zu jedem Königsthron gehörte der Hofnarr. Während der König ernst und streng in symmetrisch angeordnetem Gewand und herrlicher Dekoration auf dem Thron sitzt, relativiert ihm zu Füßen der Narr im asymmetrischen Gewand mit seinen geschliffenen Worten dessen ernste Rede. Es war üblich, bis hin zu den Päpsten, daß neben dem Beichtvater nur noch der Narr dem Herrscher ungeschminkt die Wahrheit sagen durfte. Muß ich mich für verrückt erklären lassen, um frei zu sein und Narrenfreiheit zu genießen oder nach Wilhelm Buschs (1832-1908) Motto „Ist der Ruf mal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“ zu leben?
Siehe auch Der Herrscher und der Narr ergänzen sich.
In der Transaktionsanalyse gehört das Verrücktwerden neben Mord und Suizid zu den verbotenen Auswegen, es zählt zu den drei Notausgängen. Diese Notausgänge werden gewählt, wenn man den anderen oder sich oder beide für nicht okay hält. Erstrebenswert ist der Weg des Glücks, den wir beschreiten können, wenn wir den andern und uns selbst für okay halten. Ob derjenige, der den Weg des Glücks geht, sich selbst relativieren kann, fähig ist, mit Humor über sich selbst zu lachen und wie Papst Johannes XXIII. (1881-1963) sich selbst nicht so wichtig zu nehmen? Ein solcher Mensch kann auch tragischen Lebenssituationen gegenüber angemessen reagieren.
Der Psychologe könnte für den mächtigen Politiker die Aufgabe des Hofnarren haben, ihm die Gelassenheit und den Humor vermitteln, nicht alles zu ernst zu nehmen.