
Impuls zum 6. Ostersonntag im Jahreskreis B – Große Liebe (9.5.2021)
Erste Lesung: Apg 10,25-26.34-35.44-48
Zweite Lesung: 1 Joh 4,7-10
Evangelium: Joh 15,9-17
Gott ist die Liebe! So lautet eine der schönsten Bezeichnungen für sein Wesen. Aber was verstehen wir unter Liebe?
Der Begriff ist sehr ambivalent. Einerseits steht er in der deutschen Sprache für Gott selbst und dessen Zuwendung zum Menschen, andererseits aber auch für puren Sex im Bordell. Wenn man Liebe in der lateinischen beziehungsweise griechischen Sprache differenzieren will, spricht man von Sexus, Amor (Eros) und Caritas (Agape).
Sexus (der Trieb) und Eros (die Faszination vom leiblich-seelischen Eigensein des Gegenübers) sind von sich aus nicht personenbezogen. Sie bezeichnen das Objekt der Begierde beziehungsweise den von einem bestimmten Individuum ausgehenden Zauber. Da sie für sich den Personenbegriff nicht kennen, wissen sie auch nichts von Treue. Somit kommt es unweigerlich zu Problemen, sobald der Mensch sich seiner personalen Würde bewußt wird.
Amor und Eros steigen aus der bedürftigen Leere des eigenen Selbst auf und beziehen einen Partner ein. Eros steht in enger Beziehung zu Sexus, deckt sich aber keineswegs mit ihm. Eros ist verlangende und eines anderen bedürfende Liebe, leidenschaftliches Lieben, das den anderen für sich begehrt, Verlangen nach Vereinigung, Streben nach Ganzheit. Er ist Bewegung von unten nach oben, vom Niedrigen zum Höheren. Er kultiviert Sexus und befähigt ihn, sich gestaltend beschenken zu lassen.
Caritas und Agape symbolisieren immer ein persönliches Verhältnis. Anders als Eros begehren sie nicht, sondern schenken. Agape zeigt sich so zuinnerst wie die von Gott ausgehende Liebe, die Wurzel aller Liebe. Sie ist die Liebe Gottes zu uns Menschen, der sich selbstlos um unserer selbst willen verschenkt. Der die Liebe als Agape lebende Mensch nimmt den anderen mit den Augen Gottes wahr, das heißt er nimmt ihn sowohl mit seiner Größe als auch mit all seinen Abgründen an.
Eros und Agape sind Dimensionen des ganzen menschlichen Lebens, zwei Seiten derselben Wirklichkeit Liebe. Im Christentum gibt es die Tendenz zur Vergeistigung der Liebe, zu einer Polarisierung von Eros und Agape und damit zum Dualismus von Leib und Seele sowie von Leib und Geist. Das führt zur Abwertung des gegenwärtigen Lebens und der Geschlechtlichkeit gegenüber dem Leben im Jenseits und dem Ganzsein.
Wo spüre ich Gottes Liebe?