16.8.2021

Inzwischen gehe ich am Stock

Die Praxis, einen Stock zu gebrauchen, begann vermutlich in grauer Vorzeit, als sich unsere affenartigen Vorfahren von ihren vier Extremitäten auf zwei erhoben und sich auf einem knorrigen Ast abstützten. Bald wurde der Stock auch zur Waffe sowie zu einem Zeichen von Überlegenheit und von magischen Kräften. Moses teilte mit einem Stab das Wasser des Roten Meeres.

Ich war gerade anderthalb Jahre alt, als ich den Spazierstock meines Vaters ausprobierte.

In der Existential-psychologischen Bildungs- und Begegnungsstätte Todtmoos-Rütte habe ich über längere Zeit eine Ausbildung in Initiatischer Therapie gemacht. Für meine Wanderungen durch die Wälder habe ich mir damals einen Wanderstock aus dem Ast eines Baumes zurechtgeschnitzt.

 

 

 

 

Er war mir auch auf meiner Pilgerwanderung nach Santiago de Compostela eine gute Stütze.

Den Spazierstock habe ich in meinem Leben überschlagen. Nun als alter Mann bin ich nicht mehr so sicher auf den Beinen und benutze inzwischen bei meinem täglichen Spaziergang einen Gehstock. Die nächste Gehhilfe wird eines Tages der Rollator sein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zur Hohen Geistlichkeit wollte ich nie gehören, mußte also auch weder Mitra noch Bischofsstab tragen.

 

Meine Schafe habe ich als Priester ohne Hirtenstab „geweidet“.

Ein Existentialist sagte einmal: „Heute gibt es nur noch Hirten, die sich für das Fleisch der Schafe interessieren, weil man es essen kann, die sich für die Wolle der Schafe interessieren, weil man Stoffe und Kleidung davon machen kann, und die sich für die Milch der Schafe interessieren, weil man diese trinken kann, aber es gibt kaum noch Hirten, die sich für die Schafe selbst interessieren.“

Meine Ämter als Spiritual aber haben mich dies gelehrt.

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Vermutlich hat der Stock, seitdem der Mensch aufrecht geht, eine besondere Bedeutung.

Herrschaften nutzten die Stockhohlräume für Klingen, Dolche, Eisenruten oder Giftampullen. Ich bekam einen solchen Stock, in dem sich ein Glasröhrchen befindet, das man mit einer Flüssigkeit füllen kann, zum silbernen Priesterjubiläum geschenkt.

 

 

 

 

 

 

Unentbehrlich ist der Taktstock für Dirigenten.

Ganze Berufsstände benötigten früher einen Stock. So war zum Beispiel der Nachtwächter unter anderem mit einer Hellebarde ausgerüstet.

Der Marschall, der militärische Führer der Ritterschaft eines Fürstenhofes, trug den Marschallstab, später auch der Generalfeldmarschall als ranghöchster Militär. In der heutigen Bundeswehr gibt es diesen Titel nicht.

Schon immer war der Stock Werkzeug, Symbol und Zierde.

Das 19. Jahrhundert war das goldene Zeitalter des Stocks. Er war ein Gebrauchsgegenstand, mit dem man unter anderem flanieren und flirten konnte.

Mit dem Stock in der Hand genießt man einen gewissen Schutz vor schweren Sturzverletzungen; denn er unterbindet die Möglichkeit, beide Hände in die Hosentaschen zu stecken.

Als der Mann zur Aktentasche griff, geriet der Spazierstock in den Hintergrund. Böse Zungen behaupten, die wenigsten Herren seien geschickt genug, zwei Gegenstände zu tragen.