
19.11.2020
Ist nicht genaugenommen immer Karneval?
Der Karneval zeichnet sich dadurch aus, daß die Menschen sich verkleiden oder eine Maske tragen. Vielen wird aber nicht bewußt, daß sie durch ihre Maske und Verkleidung zeigen, wer sie wirklich sind.
Die Corona-Krise zwingt uns, eine Gesichtsmaske zu tragen. In der Begegnung und im Gespräch ist es schwierig, einander zu verstehen; denn wir sprechen auch mit unseren Gesichtszügen. Ein Gesicht mit Maske ist nicht mehr offen lesbar, es ähnelt einer Verstellung. Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes soll die Verbreitung des Corona-Virus eindämmen.
Man erinnert sich an die altbekannten Abbildungen der Masken der großen Pest von 1348 aus dem Geschichtsbuch, deren oft storchenlange Schnäbel mit wohlriechenden Essenzen wie Myrrhe oder Kampfer gefüllt waren, um das Eindringen vom Hauch des Todes in die Lungen zu verhindern.
Es ist nicht verwunderlich, wenn manche an eine Tarnkappe denken. Siegfried erringt im Nibelungenlied die Tarnkappe von dem Zwerg Alberich. Sie ist aber keine Kopfbedeckung, sondern ein Umhang, beziehungsweise ein Mantel.
Möglicherweise bewirkt die Corona-Krise, daß wir uns Gedanken machen, wer wir sind und sein wollen.
Vielleicht haben wir den gleichen Mut wie Parzival und Feirefiz. Zwischen ihnen kam es zu einem Kampf ohne Sieger. Sie mußten ihre Visiere herunterlassen, um einander zu erkennen.
„Der Fremde bot Parzival eine Ruhepause an. Er empfand es als ungerecht, wenn nur noch er ein Schwert besaß. Als sie sich beide nach ihrem Namen fragten, und der Fremde sich als Feirefiz von Anjou bezeichnete, bezweifelte dies Parzival. Erst als Feirefiz seinen Helm abnahm, erkannte er an der schwarzweißen Haut seinen Halbbruder. Sie schlossen sich voller Freude in die Arme und erzählten sich gegenseitig ihre Geschichte.
Der Kampf ist der schwierigste, den die beiden je bestehen mußten. Viele Kommentatoren haben erklärt, daß Feirefiz’ schützende Rüstung ihre Macht aus dem unterirdischen Willen beziehe, während Parzival Kraft aus dem überirdischen schöpfe – er hat seinen Gotteszweifel besiegt. Das bedeutet, daß die drei Seiten des Menschen verkörpert werden durch Parzival als den Kopf, Gawan als das Herz und Feirefiz als die Zeugungskraft und den Willen der Natur. Parzival mit seinen saturnischen Eigenschaften ist treu und beständig, Feirefiz nennt als seine Götter Juno und Jupiter, und Gawan versinnbildlicht die heilende Seite des Mars.
Der christliche und der heidnische Ritter sind gleichwertige Gegner. Parzival wird in die Knie gezwungen, aber Condwiramurs hört seinen Schlachtruf ‚Belrapier’ über vier Königreiche hinweg und schickt ihm die Kraft, einen gewaltigen Schlag auszuteilen, der Feirefiz in die Knie zwingt. Doch dabei bricht das Schwert, und Parzival ist nun unbewaffnet und damit wehrlos. Großmütig wirft auch Feirefiz sein großes Schwert fort und gesteht Parzival, daß er sich geschlagen gegeben hätte, wenn dessen Schwert nicht zerbrochen wäre.
Während sie sich unterhalten, erkennen sie, daß sie beide denselben Vater haben. [...]
Die beiden Ritter empfinden sich nun als Einheit, so, als hätte ihnen vordem etwas Wesentliches gefehlt.“ (Horst Obleser - Parzival auf der Suche nach dem Gral - Tiefenpsychologische Aspekte der Gralslegende: Bonz 1997: 119ff.
Der Gral läßt sich nicht durch Bezwingen der Feinde, sondern nur durch Versöhnung mit diesen erringen. Dabei kann es sich um einen äußeren Feind handeln, aber auch um die dunkle Seite im Menschen, die schwer anzunehmen ist. Sich mit ihr zu versöhnen, verlangt große Kraft.