10.11.2021

Jeder Mensch hat bestimmte Strukturen

Jede Person hat ihr eigene Strukturen, nach denen sie, meist unbewußt, zum Beispiel ihren Beruf sucht: Ohne ein gewisses Aggressionspotential kann man weder Metzger noch Chirurg werden, und ein Metzger eignet sich wohl kaum zum Vorsitzenden des Tierschutzvereines. Ohne eine gewisse Zwanghaftigkeit kann man kein Banker werden und ein ganzes Leben mit Zahlen verbringen. Ohne einen gewissen Narzißmus und Exhibitionismus kann niemand Schauspieler werden. Alle sozialen Berufe beinhalten ein „Helfersyndrom“ (Wolfgang Schmidbauer * 1941). Es ist nur die Frage, ob solche Strukturen unerlöst oder erlöst gelebt werden können, ob der Helfer helfen muß wegen seiner „ontologischen Verunsicherung“ (Eugen Drewermann * 1940) oder ob er frei ist zu helfen, ob er auch nein sagen kann, ob er eine Spiritualität des Neinsagens lebt. Eine solche Struktur kann durchaus Grundlage für eine Berufung sein; denn Gott setzt im Leeren und Unvollkommenen an.

Bei bestimmten Berufen können sogar gewisse Fähigkeiten seelischen Abwehrmechanismen entspringen, zum Beispiel milden Kontroll- und Ordnungszwängen. Es kann aber Situationen geben, in denen man diese Abwehrmechanismen nicht mehr produktiv und sozial legitimiert abbinden kann. Sie werden sich dann wahrscheinlich dort auswirken, wo sie bestenfalls unsinnig, schlimmstenfalls aber zerstörerisch und schädlich sind.

Psychische Defizite brauchen Kompensationsmöglichkeiten. Eine solche kann zum Beispiel ein kleines Büro sein, wo ein Angestellter sich unbeobachtet seiner Arbeit zuwenden kann. Die Versetzung in ein Großraumbüro, wo er den Blicken aller ausgesetzt wäre, könnte schon erreichte Abbindungen potentiell destruktiver Energien aufheben, so daß diese wieder freigesetzt und sogar pathogen werden können.