28.5.2020

Kreis und Kugel

Auf dem Tisch in dem Zimmer, wo ich meine Gespräche führe, liegt eine von Hand gedrehte Kugel aus Speckstein. Vielleicht würden auch Sie, wie viele Menschen, die ich begleite, danach greifen. Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich. Manchmal ist es Nervosität, die bei anderer Gelegenheit zur Zigarette greifen oder die Hand mit anderen Dingen spielen ließe.

Oft ist es aber auch die Faszination des vollkommen Runden und das in einer Größe, die sich gut von zwei Händen umschließen läßt.

Was fasziniert an einer Kugel? Was will sie uns sagen?

Wir können Gott nicht beweisen, wir dürfen glauben, daß er lebt und uns liebt. Aus der Schöpfung können wir etwas über ihn erfahren in den Formen und Gestalten, die uns in der Natur immer wieder begegnen, wie zum Beispiel Kreis und Kugel.

Die Gestirne sind rund, und rund ist das Ei als Urzelle des Lebens. Die Bahnen der Weltenkörper sind rund, und wir erleben den Kreislauf von Tag und Nacht, Frühling, Sommer, Herbst und Winter.

Der Naturmensch bemerkt unmittelbar, daß ihm mit dem häufigen Vorkommen dieser Formen ein Zeichen gesetzt ist. Haben wir Kulturmenschen das verlernt?

Im Kunstwerk spiegelt sich die Persönlichkeit des Künstlers. In der Schöpfung spiegeln sich die Eigenschaften Gottes. Die Kugel ist der vollkommenste Raumkörper. Mit der kleinsten Oberfläche verbindet sich der größte Inhalt. So ist sie zwar kein Abbild, wohl aber ein Sinnbild der Fülle und Unendlichkeit Gottes. Die Kugelgestalt kündet uns überall in der Welt von der Unendlichkeit dessen, der aus seinem unermeßlichen Reichtum alles geschaffen hat, sei es im Regentropfen, im Kopf eines Kindes oder als Gestirn.

Der Mensch nimmt Kreis und Kugel zu Hilfe, wenn er etwas über Gott aussagen will. Der Himmelskreis mit den Sternen findet seine Darstellung in den Kuppeln und runden Apsiden und Nischen der Kirchen. Die Schöpfung Gottes ist in sich gerundet.

Das Paradies wird in Kreisform dargestellt. In vielen Domen symbolisiert ein Radleuchter das himmlische Jerusalem.

Menschliches Leben entfaltet sich im Runden, im Schoß der Mutter. Das Kind wird hineingeboren in den Kreis der Familie. So lagern tief im Menschen positive Erfahrungen mit dem Runden. Um so schlimmer ist es für Kinder, wenn die Geborgenheit des Runden fehlt und entbehrt werden muß.

Das Runde bleibt im Leben wirksam: Ein Kind tanzt und dreht sich im Kreis. In Kinderzeichnungen ist immer wieder etwas Rundes zu sehen, meist ist es die Sonne. Der Ball und die Kugel sind wichtig beim Spiel der Kinder und beim Sport der Erwachsenen.

Wir sitzen gerne am runden Tisch, wo es kein oben und kein unten gibt.

Bei vielen Religionen gibt es Gebetsschnüre aus Perlen. Den Katholiken ist der Rosenkranz wichtig. Er erzeugt eine beruhigende Wirkung, wenn die Perlen durch die Finger des Beters gleiten.

Wann immer wir heute dem Kreis und der Kugel begegnen, sei es in der Natur, sei es in den Werken der Menschen, wünsche ich uns, daß wir die Botschaft des Runden verstehen.

 

 

Claes Oldenburgs „Giant Pool Balls“ am Aasee in Münster