22.12.2020

Leben gibt es nicht nur auf unserer Erde

Wir Menschen haben eine eigenartig enge Vorstellung vom Leben. Wir erklären etwas für tot, weil wir keine Ahnung haben, was Leben ist.

Wir meinen zu wissen, wann Leben anfängt und wann es tot ist. Gott sei Dank, gibt es Menschen, die das anders sehen. Nachfolgend drei Beispiele:

1. Forstdirektor Hanns-Karl Ganser (* 1953): „Im Wald lebt alles, sogar der Tod. Im Wald hat nämlich auch der Tod einen Sinn. Totholz ist für Pflanzen und Tiere von enormer Bedeutung. Denn es steckt voller Leben.
Siehe Impuls vom 6. Oktober 2018 – Im Wald lebt alles, sogar der Tod. Im Wald lebt alles, sogar der Tod.

2. Erhard Kästner (1904-1974) behandelt in seinem Buch „Aufstand der Dinge“ das Thema „Als die Dinge noch gelebt haben“:
Nur sehr alte Leute werden sich erinnern, in ihren jungen Tagen davon gehört oder gelesen zu haben: irgendwann einmal, vor Zeiten, lustige Vorstellung, sollten die Dinge, der Mond und der Bach und die Tanne, die Stadt und die Bucht und das Kornfeld gelebt haben.“

Für Kinder lebt alles. Deswegen sollten sie in früher Kindheit nicht zuviel technisches Spielzeug bekommen.
Der erste Teil des Buches „Das Werkbuch der Puppenspiele“ von Leo Weismantel, das 1924 in Frankfurt/M. erschienen ist, trägt den Titel „Der seltsame Besuch“. In der Erzählung findet das kleine Mädchen Lieschen „ein seltsam geformtes Holz“.

„Ich kenne ein kleines Mädchen, das Lieschen heißt, das fand eines Tages, als es in der Holzlege spielte, ein seltsam geformtes Holz, - aus diesem Holz heraus sprang noch das kleine Überbleibsel eines Ästchens und zu dessen Rechten und zu dessen Linken waren zwei kleine Holzbeulen. Da war es Lieschen auf einmal, als sei das, was es in der Hand hielt, kein Stück Holz, als sei dies ein sonderbares Fabelwesen, irgendein Feenpüpp­chen, denn wahrhaftig, der Astzweig, war das nicht eine Nase und die beiden Beulen rechts und links, waren das nicht Augen? Da nahm Lieschen dieses Holzpüppchen herzlich in seinen Arm und ging in die Stube und suchte sich ein Tüchlein und dann noch ein Tüchlein und dann noch ein drittes Tüchlein und band das erste Tüchlein dem Stück Holz um den Leib, das war das Röckchen, und schlang das zweite Tüchlein der seltsamen Holzpuppe um den Kopf, das war der Kopfputz, und den größten Lappen, den klein Lieschen gefunden hatte, zog es seiner Puppe nun als Mantel an. Nie hat ein Kind sein Püppchen zärtlicher geliebt als dieses Kind seine seltsame Feenpuppe. Die zwei wichen kaum von einander.
Nun geschah es aber, daß eines Tages eine reiche Tante aus Amerika kam und Lieschens Eltern besuchte und auch diese seltsame Holzpuppe sah und sah, wie Lieschen so wundersam mit ihr spielte, sie fütterte und in den Schlaf wiegte und mit ihr Schule hielt. Da dachte die reiche Tante, es sei doch schade, daß das liebe kleine Lieschen all seine Anhänglichkeit und Treue an ein solch nichtssagendes Holz verschleudere und ging fort in die Stadt und kaufte eine wundersame Puppe. Die hatte leibhaftige Haare und konnte schlafen und aufwachen und konnte, wenn man sie auf den Leib drückte, auch „Mama“ sagen. Ei, gewiß, als Lieschen diese wundersame junge Puppendame sah, da machte sie große Augen und nahm das feine Püppchen wohl auch in die Hand, aber recht zart und vorsichtig, ei, es mußte aufpassen, daß es das seidene Röckchen nicht befleckte, daß kein Stäubchen in das goldene Haar fiel und das zerbrechliche Köpfchen nicht vom Stuhl auf den Boden fiel und ganz zerbrach. Nicht länger als ein Viertelstündchen spielte klein Lieschen mit dieser märchenhaften Lady Isabella, dann legte es dieses wundersame Geschenk der Amerikatante schön säuberlich in die Schachtel, in der diese Puppe ins Haus gekommen war, und holte sich wieder sein altes liebes Bärbelchen, das es in der Holzlege selbst gefunden und mit dem es so un­endlich viel, so unendlich viel reden konnte.“

3. In allen Religionen sind Steine ein Ausdruck von Ewigkeit und von der Verbindung der Erde zur Sphäre des Göttlichen. Friedrich Christoph Oetingers (1702-1782) Satz „Leiblichkeit ist das Ende der Werke Gottes“ könnte man auch wie folgt formulieren: „Das Feste, der Stein, ist das Ende der Werke Gottes“.

FAZ.NET vom 7. Dezember 2020 berichtete unter dem Titel „Proben vom Asteroiden Ryugu – Nichts als ein Haufen Gestein“ und dem Untertitel „Die Raumsonde Hayabusa ist vom Asteroiden Ryugu zur Erde zurückgekehrt und hat Bodenproben in einer Kapsel hinterlassen. Zwei Frankfurter Forscher untersuchen die Gesteinsbrocken“ von den Überraschungen, die sich bei der Erforschung ergaben. Der Artikel endet mit der Feststellung:
„Im Rückschluss bedeute das für die Entscheidung darüber, wie das Leben auf seinen kleinsten Ebenen aufgebaut ist, dass diese nicht erst auf der Erde, sondern schon im Weltraum gefallen sei. Wenn aber sowohl der Bauplan wie die Bausteine des Lebens aus dem Weltraum stammten, müssten diese Komponenten in unserem Planetensystem überall vorhanden sein. Es sei also lediglich eine Frage der Zeit und nicht nur der Möglichkeit, hebt Brenker hervor, bis wir Leben außerhalb der Erde finden würden.“

Mit der letzten Vermutung bestätigt die Wissenschaft den Schöpfungsglauben der Religionen. Der Schöpfer mußte sich „zurücknehmen“, um der Schöpfung Raum zu geben und für sie Platz zu schaffen. Die Juden nennen das „Zimzum“ oder „Tzimtzum“ (hebr. צמצום = Kontraktion). Gott konnte nur Leben schaffen. „Gott schläft im Stein, atmet in den Pflanzen, träumt in den Tieren, erwacht im Menschen und lebt im Religiösen.“ (Indi­sche Lebensweisheit)

Im Sprachgebrauch sind Leben und Tod Gegensätze. Aber sie fal­len in einem höheren Dritten, dem EWIGEN LEBEN, zusammen. Der Tod ist ein Verwandler. Als Vergleich kennen wir die Verwandlung der Raupe in einen Schmetterling. So brauchen wir den Tod nicht zu fürchten. Wer will schon ewig auf dieser Erde leben?

Leben wir überhaupt? Manche Menschen sterben bereits mit 17 Jahren und werden mit 70 Jahren endlich beerdigt. Dazwischen befindet sich ungelebtes Leben. Im Sterben wird bewußt, wieviel ungelebt geblieben ist. Wie kommen wir schon vorher zur Öffnung und Entfaltung des ungelebten Lebens? Der Grundkonflikt liegt zwi­schen Anpassung und individueller Entfaltung. Vor Gott sind wir ein Original, so werden wir ge­bo­ren und sol­len wir sein, sterben aber oft als Kopie. „Jeden mit anderer Stim­me ruft Gott.“ (Hans Carossa 1878-1956) Was wir selbst nicht zu leisten vermögen, erwarten wir von Idolen, mit denen wir uns vergleichen. Keine zwei Menschen sind vollkommen identisch, nicht ein­mal ein­eiige Zwillinge, sonst wären sie Kopien. Wir sollen iden­tisch sein mit dem Bild, das Gott von uns hat. Dann sind wir ein Original.

Siehe auch den Artikel
„Er fand den Schlüssel zum Ursprung des Lebens – aber kaum jemand kennt ihn – Der ungarische Biologe Tibor Gánti ist kaum jemandem bekannt. Aber nun, ein Jahrzehnt nach seinem Tod, geht sein Chemoton-Modell zum Ursprung des Lebens endlich um die Welt“ von Michael Marshall unter nationalgeographic.de vom 17. Dezember 2020.