22.2.2023

Mein erstes Buch war ein Fastenbuch

Wie ich zum Bücherschreiben kam

Am Sonntag, dem 15. März 1987, sprach ich im WDR 2 das Geistliche Wort zum Thema Fasten. Diese Sendung hörte der Verlagsleiter von Butzon & Bercker Josef Heckens. Er rief mich an und empfahl mir, daraus ein Buch zu machen; denn es gebe von katholischer Seite wenig Literatur zum Thema Fasten. Ich nahm das Angebot an. Nach einem Fastenkurs, den ich gehalten und in dem ich auch selbst gefastet hatte, verfaßte ich das Buch.

Hans-Karl Seeger
Heilfasten – das Leben neu bedenken, Butzon & Bercker, Kevelaer 1988 – ISBN 3-7666-9560-6

Es verkaufte sich gut, und der Verlag wünschte mehr Literatur von mir (s. „Veröffentlichungen“ auf dieser Homepage).

kirche+leben  Nr. 12, Seite 2,  20.3.1988

 

 Text des Interviews

Herr Seeger, was hat Sie veranlaßt, ein Buch über das Heilfasten zu schreiben?

Den ersten Anstoß gab Herr Nacke vom Diözesanbildungswerk Münster. Ich habe eine Einführung in einen Fastenkursus hier im Franz-Hitze-Haus gegeben. Er fragte mich: „Wollen Sie die Gedanken nicht in die Festschrift zum 60. Geburtstag von Professor Schladoth aufnehmen lassen?“ Dann bekam ich das geistliche Wort im vorigen Jahr zum ersten Fastensonntag und habe daraus Gedanken vorgetragen.

Die hat der nun pensionierte Verlagsleiter von Butzon und Berker, Herr Heckens, gehört. „Wollen Sie da nicht etwas daraus machen?“ fragte er mich. „Vor einigen Tagen bin ich noch angesprochen worden von einer Frau, die etwas Spirituelles zum Fasten suchte.“ So ist dann mein Büchlein entstanden.

Wie sind Sie eingestiegen ins Fasten?

Das erste Mal sollte man in einem Kursus fasten, in dem man fachliche Anleitung und Gemeinschaftserfahrungen hat. Ich hab's allerdings das erste Mal alleine gemacht und dachte, mal sehen, was das alles mit sich bringt. Die ersten zwei, drei Tage sind sehr schwierig, weil die innere Uhr sich umstellt. Danach lebt der Leib praktisch aus sich selbst. Der Hunger ist überwunden. Es gibt dann höchstens noch Appetit.

Bei der Gelegenheit ist vor allen Dingen zu merken, welche Motive sonst noch mit dem Essen verbunden sind. Welche Gier und Frustration, die mit einem oralen Bedürfnis einhergehen. Es wird einfach etwas in den Mund gesteckt, um das Bedürfnis zu befriedigen.

Vielen täte eine rein leibliche Abmagerungskur schon sehr gut. Was ist der Unterschied zwischen Abspecken und Fasten?

Bei mir war es übrigens auch das Gewicht. Ich wollte eine bestimmte Grenze nicht überschreiten. Und die war nach Weihnachten mit dem zusätzlichen Kuchen und den vielen Plätzchen überschritten. Die meisten kommen das erste Mal durch Übergewicht dran. Dabei darf es aber nicht stehenbleiben, sonst pendelt man zwischen Fasten und Essen nur immer hin und her.

Es muß schon eine andere Dimension erschlossen werden und vor allem: Das Leben danach muß sich verändern. Sonst hat das alles keinen Zweck und bleibt bei Diät-Versuchen.

Kommen wir zum Sinn des Fastens, zum spezifisch Geistlichen. Mit Gesundheits-Techniken kommt man dem Sinn des Lebens nicht näher. Mit dem Fasten denn?

Wie Sie schon sagen, gibt es Techniken, die wir einsetzen, um fit zu sein. Gymnastik gehört dazu und Yoga. Man will bestimmten Ansprüchen der Gesellschaft, was zum Beispiel die Körperform angeht, entsprechen. Das ist schon was, aber meines Erachtens zu wenig.

Die meisten kommen aber über einen solchen Weg zu einer tieferen Dimension. Diese Dimension könnte so umschrieben werden, daß nicht nur der Körper, sondern auch die Seele Ballast abwirft. Letztlich will ich doch herausbekommen: Wovon lebe ich eigentlich? Die tiefste Dimension, die ich erreichen kann, ist die, daß ich mich eigentlich in Gott festmachen sollte und es schaffen müßte, von allem anderen leer werden zu können.

Das Fasten ist also etwas wie eine Operation ohne Messer, eine Medizin für den ganzen Menschen?

Ja, Grundlage ist, daß man erkennt, Leib und Seele bilden eine Einheit. Es ist gut, mit Lust zu essen. Aber es ist nicht gut, seelische Bedürfnisse über körperliche Genüsse abzureagieren. Das Fasten ist das älteste Heilmittel der Menschheit. Fasten und Fieber sind die Selbstheilungskräfte der Natur. Dann kommen nach meiner Auffassung erst die homöopathischen Mittel, die Naturmittel, und dann die chemische Medizin.

Wenn ich so sehe, wie viele Leute ihre Pillen beim Essen neben ihrem Tisch liegen haben, stimmt doch etwas nicht. Wir machen ja die Medizin zur Nahrung. Eigentlich müßte die Nahrung unsere Medizin sein. Richtig leben, richtig essen und fasten kann viel zur Gesundheit beitragen.

Die heilende Wirkung des Fastens hat für uns der Arzt Dr. Buchinger entdeckt. Er war schon von allen Ärzten wegen seiner rheumatischen Erkrankung aufgegeben worden und ist durch einen Freund bei einem Gespräch auf die Idee gebracht worden, es mit dem Fasten mal zu versuchen.

Er hat entdeckt, daß die Natur sehr weise ist, daß sie zunächst, wenn von außen nichts mehr zugeführt wird, erst das Überflüssige und dann das Giftige abbaut. Das waren bei ihm die Gifte in den Körpergelenken. Durch das Fasten ist er von seiner Krankheit ganz geheilt worden.

Zunächst einmal ist das rein leibliche Fasten eine ganz individuelle Angelegenheit. Der Fastende tut etwas für sich. Muß dieser individuelle Aspekt im Sinne eines geistlich ausgerichteten Fastens nicht gesprengt werden?

Ja, unbedingt. Das Liebesgebot hat eine dreifache Richtung. Du sollst Gott lieben und den Nächsten wie dich selbst. Wenn es beim Individuellen bleibt, ist das Fasten auch wieder Gift. Die alte Kirche hat den individuellen Heilungsprozeß überhaupt nicht im Blick gehabt. Man hat gefastet, um den Armen etwas geben zu können. Gebet, Almosen und Fasten gehören zusammen.

Der Papst hat, glaube ich, 1984 gesagt, daß das Fasten auch nur eines dieser Werke sei, die so gesehen werden können: Im Fasten komme ich mit mir selber klar, im Almosengeben wende ich mich dem anderen und im Gebet Gott zu. Wer also nur für sich fastet, und sei es auch, daß er noch mehr will als nur abspecken, handelt dem Wesen des Fastens entgegen. Fasten muß immer in dieser Dreiheit gesehen werden.

Der soziale Aspekt alleine läuft sich aber auch tot. Wenn ich ein Glas Bier trinke und denke an die Menschen, die verhungern, dann schmeckt es mir nicht mehr. Das ist auch bedenklich. In dem Zusammenhang fällt mir die heilige Teresia ein: „Wenn Rebhuhn dann Rebhuhn, wenn Fasten dann Fasten“, hat sie gesagt.

Hat die Kirche den Fastengedanken in den zurückliegenden Jahrzehnten und Jahrhunderten nicht mehr und mehr verkümmern lassen?

Ja, sehr. Es sind praktisch nur noch zwei Fastentage übriggeblieben: Aschermittwoch und Karfreitag. Gefreut habe ich mich über ein Schreiben zur Neuordnung der Karwoche und der Fastenliturgie aus Rom. Darin ist zu lesen, daß der Freitag bis zur Osternacht reicht, und zwar von Gründonnerstagabend. Das, was geblieben ist, sind nur noch zwei Feigenblätter einer alten Tradition.

Der Fastengedanke wird jetzt von außen herangetragen. Volkshochschulen und Gesundheitsberater bieten das Heilfasten an, und die Kirche hat es eigentlich schon immer gehabt.

Der Begriff des Fastens hat in unserer Zeit auch einen politischen Aspekt bekommen. Es wird die Nahrung verweigert, um bestimmte Ziele durchzusetzen.

Den größten Mißbrauch in dem eben bereits Genannten, dem Auf-sich-Schauen, sehe ich in dem Fasten als Protest, als Hungerstreik, um etwas durchzusetzen. Lange Zeit habe ich Gandhi falsch verstanden: Gandhi hat gefastet, um sich zu läutern. Und als ein Geläuteter trat er vor die Behörden und erreichte, was er wollte.

Das Hungerstreik-Fasten macht aggressiv, beide, den Fastenden und den, der erpreßt werden soll. Wenn du mir nicht das gibst, was ich will, sterbe ich. Das ist ein klarer Mißbrauch des Fastens, da es mit Hungern verwechselt wird.

Wie lange fasten Sie?

Jedes Jahr zweimal acht bis zehn Tage.

Wird der Körper dabei denn nicht immer schwächer? Ist man nicht müde und gereizt?

Das kommt darauf an. Es gibt Sportler, die haben Höchstleistungen in der Zeit des Fastens erbracht.

Der Körper schafft es tatsächlich, in den zehn Tagen bei Wasser und Säften genauso fit zu bleiben?

Ja. Ich habe den Eindruck, sogar noch fitter. Denn ein Drittel der Energie wird für die Verdauung in Anspruch genommen. Sie steht dann zum Heilen des Körpers, der körperlichen Leistung und vor allem zur geistigen Wachheit zur Verfügung. Ich brauchte weniger Schlaf, war geistig fitter. Ein voller Bauch studiert nicht gern, sagt ja schon der Volksmund.

Ab wann braucht man denn einen ärztlichen Beistand?

Bis zu zehn Tagen kann man ohne Arzt fasten. Dann sollte man mit einem Arzt Kontakt aufnehmen und das Blut untersuchen lassen. Es gibt aber medizinische Probleme, bei denen muß man schon vorher den Arzt fragen, zum Beispiel Schilddrüsenfunktion, Diabetes usw.

Man muß nach acht bis zehn Tagen abklären, ob man die Vitamine in der flüssigen Nahrung noch mit Mineralien aufstockt. Ganz wichtig ist, welches Wasser man trinkt. Es müßten stille, natriumarme Wässer genommen werden. Unter ärztlicher Aufsicht kann man unbeschadet 40 Tage fasten. Und heute meint man sogar, daß ein gesund konstituierter Mensch es bis zu 60 Tagen aushalten kann.

Aus körperlichen Gründen kann das Fasten also vom Arzt eingeschränkt oder sogar verboten werden. Gibt es denn auch psychologische Argumente gegen das Fasten?

Es gibt auch psychische Abhängigkeiten, die vorher bedacht werden müssen. Wenn ich etwa mit Rachegedanken einhergehe, dann ist Fasten noch nicht angezeigt. So wie ich vor dem Beginn des Fastens einen Entlastungstag für den Magen einlege und nur Obst esse, kein Fleisch oder große Menüs mehr, so sollte man auch die Seele vorher entlasten und sich nicht mit riesigen Problemen plagen.

Gibt es Hochs und Tiefs in den zehn Tagen? Wie war das bei Ihnen?

Es gibt unterschiedlichste Erfahrungen. Bei mir war es jedesmal anders. Beim letzten Mal, voriges Jahr im September, hatte ich in den zehn Tage eine Hochstimmung und Konzentrationskraft, wie ich das vorher noch nicht erfahren hatte.

Es kann sein, daß schon mal depressive Schübe kommen. Oder wer sehr viel Gift im Körper hat, kann mit Migräne oder leichten Kopfschmerzen zu tun bekommen. Vor allem ist wichtig, viel frische Luft aufzunehmen, den Körper weiter zu belasten, richtig aufzustehen, damit der Kreislauf in Gang kommt.

Nur zwei Dinge gleichzeitig machen, das fällt mir in der Zeit schwer. Hektik, die man sonst im Alltag wohl ertragen kann und kompensiert, durch eine Zigarette oder durch das Essen, verträgt der Körper dann nicht. Ich muß dann in Ruhe und konzentriert alles hintereinander machen können, mehrere Dinge gleichzeitig, das geht dann nicht.

Wie wirkt sich die „Ruhe des Magens“ auf den geistlichen Menschen aus?

Für das geistliche Tun ist dann auch mehr Ruhe, sei es für das Stundengebet oder für die Zelebration der heiligen Messe. Ich meditiere im Stile des Zen im Lotus-Sitz und bin gelassener. Es ist eine ganz intensive Erfahrung, einfach da zu sein, nicht den Drang zu verspüren, daran mußt du noch denken. Wenn ich das Essen loslasse, kann ich auch vieles andere loslassen.

Aber irgendwann müssen Sie ja wieder mit dem Essen anfangen?

Das ist ein wichtiger Aspekt, das richtige Aufhören. Ich habe das auch in meinem Büchlein erwähnt. Es heißt ja: Fasten kann jeder Dumme, aber zum Aufhören braucht es den Weisen. Einen Teilnehmer bei einem Kursus hörte ich mal sagen: „Oh, nur noch einen Tag. Morgen haue ich mir erst mal ein richtiges Steak rein.“ Wer das versucht, landet im Krankenhaus. Die Nahrungsaufnahme muß langsam wieder aufgebaut werden. Vor allem muß beim Menschen etwas geändert werden. Das gehört zur Weisheit des Lebens dazu.

Wie fängt man denn wieder an zu essen?

Das erste, was man ißt, ist ein Apfel. Und ich kann mir kaum vorstellen, daß der Apfel im Paradies köstlicher geschmeckt hat als der Apfel, der dann gegessen wird. Es wird dann kaum noch gehen, zu kauen und gleichzeitig fernzusehen oder Zeitung zu lesen, sondern dann widmet man sich wirklich nur dem Essen. Dann ist man ganz bei dem, was man gerade tut.

Das Interview führte Ulrich Böckmann.