
20.4.2019
Menetekel in unserer Zeit
Als Menetekel bezeichnet man eine unheilverkündende Warnung, einen ernsten Mahnruf oder ein Vorzeichen drohenden Unheils. Belsazar erscheint das „Menetekel“ und David deutet es ihm. Er liest die Worte Mene mene tekel u-parsin (מנא ,מנא, תקל, ופרסין). Seiner Aussage nach bedeuten sie: „Mene: Gezählt, das heißt, Gott hat gezählt die Tage Deiner Königsherrschaft und sie beendet. Tekel: Gewogen, das heißt, Du wurdest auf der Waage gewogen und für zu leicht befunden. Peres (U-parsin): Zerteilt wird Dein Königreich und den Persern und Medern übergeben“.
Ein solches Menetekel war der 11. September 2001, als in Manhattan die Twin Towers von Flugzeugen zerstört wurden. Damit setzte der Terrorismus ein Zeichen und verbreitete sich seitdem weltweit.

Foto: Lana Sator
Ein solches Menetekel ist meines Erachtens auch der 16. April 2019 mit dem Brand der Kathedrale Notre-Dame in Paris.
Nun ist in Frankreich, der „Ältesten Tochter der (römischen) Kirche“, ein Wahrzeichen von Paris, die Kirche Notre-Dame, ein Raub der Flammen geworden. Die Brandursache ist im Gegensatz zu dem terroristischen Anschlag in Manhattan vermutlich eher harmlos, aber das Zeichen menetekelhaft interpretierbar.
Ich halte es für sinnvoll, Kirche unter den Aspekten Inhalt und Form zu betrachten. Unter Inhalt verstehe ich den Bezug zur Transzendenz, die wir Christen Gott nennen. Dieser Inhalt ist von einer Form umgeben. Jeder Inhalt schafft sich seine Form, und eine Form füllt sich mit Inhalt. Aber das Gesetz des Lebens führt dazu, daß sich die Form im Laufe der Zeit verhärtet, und das gleitet leicht in Fundamentalismus ab. Besser wäre eine Reformation.
Der Inhalt der Kirche ist in Gefahr zu verdunsten, wie eine Rauchwolke nach einem Brand; denn ihre Form ist starr und verhärtet.
Nicht zuletzt durch die Aufdeckung des Mißbrauches, den es immer schon gegeben hat und nicht erst, wie der emeritierte Papst Benedikt XVI. meint, seit 1968, wird deutlich, wie ausgebrannt der Inhalt der Kirche ist. Ausgebrannt sind auch viele Priester, von denen Aufgaben verlangt werden, für die sie nicht ausgebildet sind.
Hier liegt die Chance für eine Reformation; denn die Kirche ist eine semper reformanda, das heißt, sie muß sich ständig erneuern. Aber diesen Aspekt hat sie seit langer Zeit vergessen.
Es wird Zeit, daß das Gegeneinander im Vatikan und in den Bischofskonferenzen ein Ende findet und in den Gegensätzen das Verbindende gesucht und gesehen wird. Es gibt nur einen Gott, den wir Christen umfassend als Transzendenz charakterisieren. Es gilt, diese zu erfahren, wie es Karl Rahner (1904-1984) bereits 1966 zum Ausdruck gebracht hat: „Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“
Das Wappen von Paris zeigt ein schwankendes Schiff und die Devise „Fluctuat nec mergitur – Es schwankt, aber es geht nicht unter“. Das Schiff wird allegorisch oft mit dem Kirchenschiff von Notre-Dame verglichen. Heute läßt es sich als ein Zeichen der Hoffnung für das Weiterleben der Kathedrale verstehen.
Im Museum Weißenfels im Schloß Neu-Augustenburg befindet sich ein Helm der Pariser Feuerwehr aus dem 19. Jahrhundert mit dem Wappenschild von Paris.
Laut Euronews ist die Devise der Stadt Paris auch heute noch auf den Logos der Pariser Feuerwehrleute zu sehen und gilt seit den terroristischen Anschlägen in Paris als Slogan des Widerstandes gegen den Terror.
Der Kaplan der Feuerwehr riskierte sein Leben, indem er in die brennende Kathedrale lief, um die Reliquien, darunter auch die Dornenkrone Jesu, zu retten. Eine Hülle kann wieder errichtet werden und auf Grund der Rettung der Reliquien, die der eigentliche Grund für den Bau einer Kirche sind, nun auch deren geistige Mitte.
Ob wir die Zeichen der Zeit verstehen?