12.11.2021

„Menschen wie Tiere ausgestellt“

Unter dieser Überschrift und den einleitenden Zeilen „Der Tierpark Hagenbeck in Hamburg tut sich offenbar schwer mit der Aufarbeitung seiner Völkerschau-Vergangenheit. Nachfahren von damals ausgestellten Menschen fordern endlich eine kritische Auseinandersetzung“ berichteten Anne Ruprecht und Mirco Seekamp auf tagesschau.de vom 26. Oktober 2021 über die Völkerschauen im Tierpark Hagenbeck.

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Aus dem Tagebuch von Karl Leisner (1915-1945)

Hamburg, Mittwoch, 7. August 1929, 5. Tag

Eine halbe Stunde danach fuhren wir mit der Straßenbahn nach Stellin­gen, zum Hagenbeckschen Tierpark (siehe Billet folgende Seite). Hier lösten wir uns die Eintritts­karten und Jan [An­sems] noch eine Erlaubnis­karte zum Photographieren. – Wal­ter kaufte sich einen Füh­rer, und so hatten wir den Jugend­pfleger und die andere Gruppe nicht mehr nötig.

Zuerst gings an dem Carl Ha­genbeck-Denkmal (mit einem Löwen[1]) und an den Papageien vorbei zum Vogel­paradies und der afrikanischen Steppen­landschaft. Hier waren lauter Vögel, die frei herumflogen (Marabus, Krani­che, Pelikane usw.). In der Steppenlandschaft liefen Zebras, Antilopen und andere Grasfresser frei umher. Die Anti­lo­pen waren so zahm, daß man sie an den Hörnern packen konnte, ohne daß sie was taten. Nun gings zur Lö­wen­schlucht. Hier lag ein großer Löwe und mehrere Löwinnen. Die andern hat­ten sich versteckt. Die Lö­wen waren nur durch einen tiefen, breiten Graben von uns getrennt. Wenn man von weitem hinsah, meinte man, die Tiere liefen voll­ständig frei umher. Von hier gings an den Tharfel­sen[2], wo Gemsen und fremde (und andere numidische [nubische]) Ziegenarten hau­sen und den wir be­stiegen, vorbei zum Nordlandpanorama.[3] Dort fielen uns zuerst in der ziem­lich hohen Schlucht die Eisbären (siehe Bilder) auf. Dann sahen wir die Walrosse, Seelö­wen und See-Elefanten.[4] Diese (2,50 Zentner schweren Tiere) wurden ge­rade gefüttert. Jetzt gings zur Wirtschaft, wo Willi und ich zu den mitge­brachten Butterbroten jeder eineinhalb Flaschen Brau­seli­mo­nade bestellten.

Nun sahen wir, wie die Robben gefüttert wurden. Sie bekamen jeder Fische und Arznei. Jetzt gings den „Berg“ herauf zu den Rentieren. Von dort zu den Pin­guinen, ganz putzige Tierchen. Jetzt war das Nordlandpanorama gesehen. Wir sahen noch Strauße, Schlangen (Reptilienhaus) und Kroko­dile, Kängu­ruhs und Giraf­fen, Rinder, Eber und Kamele. Nun gings zum Raubtierhaus, wo Löwen und Tiger zu sehen waren. Vor ihm waren Affen, Leoparden, Jaguare, Iltisse, Fuchsarten und andere. Von dort zu den Ele­fanten (riesige Tiere). An der Völkerschau vorbei, wo Ne­ger ihr Leben trie­ben[5] und über die japanische Brücke (rot) und an der Tempelruine vor­bei, gings zum Teich, in dem und an dessen Ufern vor­sintflutliche Tiere in Stein waren. Manche sahen fast wie lebend aus. Sofort dabei war ein Spiel­platz, wo wir uns ausruhten und spiel­ten. Noch kurz sahen wir den Raubvo­gel­käfig und heidnische Göt­terfiguren in Bäume einge­schnitzt. Um kurz vor 20.00 Uhr gings zur Hoch­bahnhalte­stelle (20 Minuten entfernt), von wo wir bis zur [Großen] Micha­­elis­­kirche fuhren.

[1]  Carl Hagenbeck ging regelmäßig zu einer Gruppe dressierter Löwen und Tiger. Eines Tages stolperte er, und einige Tiere stürzten sich auf ihn. Der Löwe Triest warf sich dazwischen und rettete ihm das Leben.
[2]  Der Himalaya-Thar-Felsen ist begehbar.
[3]  Das ursprüngliche Nordlandpanorama sah laut Zooplan von 1907 wie folgt aus: im Vordergrund rechts Robben, links Pinguine, im Hintergrund Eisbären und links davon Rentiere, darüber eine in eine Felswand eingefügte Aussichtsplatt­form.
[4]  See-Elefanten sind die größten Robben der Welt. Benannt sind sie nach der rüssel­artig vergrößerten Nase der Männchen.
[5] 1875 hatte Carl Hagenbeck einen Markt mit einer Völkerschau gesehen, worauf­hin er viele große Völkerschauen u. a. mit Eskimos, einer Lappländer­familie und Massais veranstaltete.

Siehe auch Themenfeld Tiere.