
28.8.2022
Mißverhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf
Gott als Schöpfer ist für uns Geschöpfe nicht zu erfassen, weil Gott jenseits aller Vorstellungen ist. Aber wir dürfen glauben, daß er ist und wirkt. Im Bereich des Glaubens erfahren wir sowohl unser Leben in Gott als auch Gott in uns. Auf Ungewohntes für diese Einheit von Gott und Mensch stoßen wir bei Mechthild von Magdeburg (1207-1282). Die Kirche könnte davon viel über die Bedeutung der Sexualität des Menschen lernen.
Mechthild von Magdeburg
„Nun geht die Allerliebste zu dem Allerschönsten in die verborgenen Kammern der unsichtbaren Gottheit. Dort findet sie der Minne Bett und Gelaß und Gott übermenschlich bereit. Da spricht unser Herr:
»Haltet an, Frau Seele!«
»Was gebietest Du, Herr?«
»Ihr sollt nackt sein! «
»Herr, wie soll mir dann geschehen?«
»Frau Seele, Ihr seid so sehr in mich hineingestaltet, daß zwischen Euch und mir nichts sein kann. Es ward kein Engel je so geehrt, dem das wurde eine Stunde gewährt, was Euch von Ewigkeit ist gegeben. Darum sollt Ihr von Euch legen beides, Furcht und Scham und alle äußeren Tugenden. Nur die, die von Natur in Euch leben, sollt Ihr immerdar pflegen. Dies ist Euer edles Verlangen und Eure grundlose Begehrung; die will ich ewig erfüllen mit meiner endlosen Verschwendung.«
»Herr, nun bin ich eine nackte Seele, und Du in Dir selber ein reichgeschmückter Gott. Unser zweier Gemeinschaft ist ewiges Leben ohne Tod.«
Da geschieht eine selige Stille, und es wird ihrer beider Wille. Er gibt sich ihr, und sie gibt sich ihm. Was ihr nun geschieht, das weiß sie, und damit tröste ich mich. Aber dies kann nie lange sein. Denn wo zwei Geliebte verborgen sich sehen, müssen sie oft abschiedlos voneinander gehen.
Lieber Gottesfreund, diesen Minneweg habe ich dir geschrieben.
Gott möge ihn deinem Herzen erschließen! Amen.“