Ostersonntag 21.4.2019

„Ich bin ins Grab auferstanden!“

Schriftstellen:
Erste Lesung: Apg 10,34a.37-43
Zweite Lesung: Kol 3,1-4
Evangelium: Joh 20,1-9

In der Schlußrunde eines Osterkurses war obiger Ausspruch das Resümee einer jungen Teilnehmerin. Welch intensives Glaubenszeugnis in unserer säkularisierten Welt!

Wie aber sieht eine nicht-säkulare Welt aus? Wohl kaum so, daß alles Kirchliche wieder funktioniert und alle wieder in die Kirche gehen. Vermutlich eher so, daß wir leben vom Glauben an die Auferstehung.

Was gibt es vor allem in und vor der Welt zu bezeugen? Es ist die Bedeutung unseres Christseins, und das heißt, mit Christus leben, sterben und auferstehen. Können wir das bezeugen?

„Bin ich normal, wenn ich in meinem Alter ein Testament mache?“, fragte mich als Spiritual im Collegium Borromaeum in Münster ein Student. Er war durch den Unfalltod eines Freundes auf die Idee gekommen. Üblich war das nicht, nicht einmal für ältere Priester. Inzwischen müssen laut bischöflichem Erlass alle Priester ab dem Alter von 40 Jahren ein Testament haben.

Von keinem Ziel, auf das wir Menschen unsere Hoffnungen, Wünsche und Streben richten, wissen wir sicher, ob wir es jemals erreichen. Nur ein Ereignis, das zumeist als unerwünscht und negativ empfunden wird, ist uns absolut gewiß: Der Tod. Er setzt all unserem irdischen Erleben, Arbeiten, Streben, ja unserem gesamten Leben ein Ende.

Wir kommen aus der Geburt und gehen dem Tod entgegen; wir waren in der Ungeborenheit und erwarten die Unsterblichkeit; wir waren ein Kind, das vieles geerbt hat, und werden zu Alten, die wieder·alles verlieren.

Daß der Leib sterben wird, ist uns klar, auch daß von ihm nichts übrigbleibt, aber wie sieht es mit unserer Seele aus? Ist sie nur eine sekundäre Erscheinung chemisch- physiologischer Nervenprozesse und so abhängig von materiellen Vorgängen, wie der Duft einer Rose mit der Blüte entsteht und vergeht, oder ist sie etwas Unvergängliches, weil sie auch vorher schon war?

Worin besteht der Unterschied zwischen Ein-schlafen und Ent-schlafen? Der Schlaf gilt als kleiner Bruder des Todes, weil er alle Seelenregungen vorübergehend auslöscht; es entsteht eine Umnachtung des Bewußtseins, so als hätte der Tod in jeder Nacht Zugriff auf unseren Körper. Auch wenn wir schlafen wie ein Toter, schenkt Gevatter Tod uns jeden Morgen neue Aufbaukräfte. Wir regenerieren uns im Schlaf, so daß wir uns dessen biologischen Tiefen entreißen, aufstehen und jeweils aufs Neue aktiv werden können.

Und doch bleiben wir manchmal gerne liegen, nicht aus Faulheit, auch ist es nicht einfache Müdigkeit, die uns zurückhält, das Tagewerk zu beginnen, sondern die tief in uns wohnende Sehnsucht, wieder zurückzugleiten in den schwerelosen, grenzenlosen Zustand des Träumens.

Die Regeneration in der Nacht ist nötig, weil das Gehirn, anders als zum Beispiel das Herz und die Lunge, die Eigenart hat, in eine abendliche Müdigkeit zu versinken.

Ein junger Mann, Vater zweier Kinder, ein eigenes Haus war in der Planung, starb an Krebs. Ich habe ihn beerdigt. Auf seinem Totenzettel stand: „Während ich glaubte, ich würde lernen, wie man leben soll, habe ich gelernt zu sterben!“

Sterben war nicht zu allen Zeiten gleich. Im Mittelalter war es anders als heute; denn niemand wußte eine Antwort auf die Fragen, die sich Sterbenden am dringlichsten stellen: „Zieht meine Seele für immer in den Himmel oder in die Hölle ein? Brütet meine Krankheit Tod oder Leben aus?“ Sie mußten alle Lebenskraft zusammennehmen, um ihre doppelte Angst, die religiöse und die kreatürliche, zu überwinden. Wer ihre Qual verklärt, verkennt die Leistung dieser Menschen.

Wegen der starken Bekämpfung von Infektionskrankheiten sterben wir heute nicht mehr in wenigen Tagen, sondern auf Grund von chronischen Krankheiten lange und am Ende oft ohne Bewußtsein. Gegen Ungwißheit und Höllenangst propagiert man heute, der Tod existiere in Wirklichkeit überhaupt nicht, er sei lediglich das gelassene, ja beseligende bewußte Heraustreten aus dem physischen Körper, so wie der Schmetterling seinen Kokon abstreife.

Das Verhältnis des Menschen zum Tod hatte früher vermutlich noch keinen persönlichen Charakter, so daß man keine Angst vor dem Tod im heutigen Sinne kannte. Man nimmt an, sie habe sich in unserer heutigen Ausprägung erst bei den Humanisten der Renaissance entwickelt. Angst vor dem Sterben wird seitdem zu einem zentralen Punkt im menschlichen Erleben, und im weiteren Verlauf der Entwicklung beginnt der Mensch, den Tod zu verdrängen.

Im Mittelalter trafen die Menschen minutiöse Vorkehrungen für den eigenen Tod. Viele wollten in ihren letzten Tagen Messen gelesen haben oder geweihte Räume zur inneren Vorbereitung nutzen. Sie hatten genaue Wünsche hinsichtlich des Begräbnisplatzes, möglichst nahe beim Grab eines Heiligen oder sonst in geweihter Erde. Heute ist es vielen Menschen egal, wo sie bestattet werden, sehr viele wählen aus unterschiedlichen Motiven eine anonyme Bestattung.

Kein Lebender teilt die Erfahrung des Sterbens mit den Toten. Für jeden ist es das erste Mal. Angst, Hoffnung und Trauer verformen die Wahrnehmung und Erinnerung an das Sterben; denn es ist immer das Sterben der anderen. Adam konnte erst abtreten, als er Abel hatte sterben sehen. Kein Thema geht uns näher als das des Todes, bei keinem anderen ist die Versuchung größer, es wegzuschieben.

Zu wissen wie kein Lebewesen sonst, daß wir sterben, hilft und lehrt uns zu leben, getragen von der Hoffnung auf die Auferstehung, ohne zu wissen, wie sie vor sich geht. Sterben ist kein Fallen in ein dunkles Loch, eher fallen wir in ein Netz, begründet in der Hoffnung: „Wir fallen in Gottes Hände und Gottes Hände sind gute Hände.“

Bezeugen wir unseren Glauben dadurch, daß wir an die Auferstehung glauben?