26.12.2022

Predigt im Hirtenamt 2022 in Billerbeck

An Weihnachten sieht es so aus, als müßte Gott zu uns kommen, als müßten wir ihn kennenlernen durch die Geburt eines Kindes.

Es sieht so aus, als gäbe es nur noch einen Gott im Diesseits statt im Jenseits, obwohl die Quantenphysiker festgestellt haben, daß im Universum ein Jenseits ohne Anfang und Ende existiert.

Das Jenseits ist das Entscheidende des Religiösen, das eigentlich Aufregende. Und da scheinen die Quantenphysiker weiter zu sein als wir Theologen und Christen.

Es fällt uns schwer zu glauben, daß es Weihnachten nicht ohne Ostern gibt; denn wir feiern das Weihnachtsfest viel intensiver als das Osterfest.

Da Jesus nach seiner Kreuzigung auferweckt wurde und den Jüngerinnen und Jüngern als Auferstandener erschienen ist, überlegte man, wo Jesus die erste Zeit seines Lebens verbracht habe. Irgendwo mußte er auch geboren sein.

Manche Historiker halten viele der in den Evangelien überlieferten Angaben, vor allem bezüglich der Kindheitsgeschichten, für fromme Legendenbildung.

Jesus sei zum Beispiel nicht in Bethlehem, der Stadt Davids, aus der man den Messias erwartete, geboren, sondern in Nazareth.

Für die Zeit bis zu Jesu öffentlichem Wirken gibt es kaum Historisches.

Seine letzten Jahre, die schließlich am Kreuz endeten, worauf seine Auferstehung folgte, waren aber noch nicht das Ziel Jesu.

Seine Aufgabe war es, das Reich Gottes anzukündigen. Dieses aber ist bis heute noch nicht vollendet. Die ersten Christen dachten, es komme zu ihren Lebzeiten.

Aber die Religionen bekämpfen sich noch immer, anstatt sich zu vertragen und klar zu erkennen, daß jede auf ihre Weise Gott erfahren kann. Wir Christen bilden uns ein, wir hätten es geschafft.

Wir müssen zurück in die erste Zeit des Christentums, bevor die Kirche nach dem Tod von Kaiser Konstantin (zwischen 272 u. 285-337) unter Kaiser Theodosius (nach 392) Staatsreligion wurde und eine Männerkirche dazu.

In der Urkirche hatten auch die Frauen einen Platz. Das änderte sich so radikal, daß Junia 2000 Jahre warten mußte, bis sie eine Frau sein durfte. Vorher war sie Junius.

Es ist vor allem den Kindern zu gönnen, Weihnachten zu feiern mit all den herrlichen Dingen. Aber dabei sollte es nicht bleiben. Der Stephanustag zeigt uns den Tod des ersten Märtyrers auf. Ist es so sicher, daß uns Putin nicht auch dazu macht, wenn sich seine Drohung mit der Atombombe bewahrheiten sollte?

Jesus würde heute sein Reich kaum wiedererkennen; denn wir sind dabei, das Ende der Erde herbeizuführen, indem wir sie unbewohnbar machen.

Die Quantenphysiker wissen es, wie schon gesagt, besser als wir Theologen, daß Gott von uns nicht erfaßt werden kann. Wir dürfen und können IHN nur erfahren.

Karl Rahner (1904-1984) hat bereits 1966 formuliert: „Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“

Ich habe mich entschlossen, nur im JETZT, am jeweils heutigen Tag, zu leben, und vertraue auf die Zukunft. Sterben ist für mich eine Verwandlung in die Ewigkeit, wo ich Gott vollkommen erfahren werde, wie ich es bereits als Vierzehnjähriger in mein Religionsheft geschrieben und gemalt habe: Gott in mir (und ich in IHM).

So wollen wir mit Gott Weihnachten feiern und nicht nur glauben, sondern erfahren, daß er bei uns ist, und das nicht nur in diesem Gottesdienst!