
12.10.2021
Ruhen in Gott
Volker Leppin
Ruhen in Gott
Eine Geschichte der christlichen Mystik
Verlag C. H. Beck, München 2021
476 S. 32,00 €
Isabella Mandrella besprach dieses Buch in der F.A.Z. vom 8. Oktober 2021 unter der Überschrift „Schmerzhaft ist die Gottesferne“. Ihre Rezension ist äußerst kritisch, dennoch gesteht Isabella Mandrella dem Autor zahlreiche „interessante Einsichten“ in bezug auf die „Geschichte der christlichen Frömmigkeit oder Spiritualität“ zu.
Link zum Artikel unter Rezensionen auf bücher.de
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Die metaphorische Sprache sagt etwas aus, was sich auf andere Weise nicht vermitteln läßt. Sie drückt wesentlich mehr aus, als es die begriffliche Sprache vermag. Vor allem das erotische Vokabular scheint fähig zu sein,
Gefühle intensivster Zuneigung zwischen den Menschen und auch zwischen Mensch und Gott in Worte zu fassen. Das zeigt sich zum Beispiel sehr deutlich bei den Mystikerinnen Teresa von Avila (1515-1582) und Mechthild von Magdeburg (um 1207-1282).
Verzückung der Teresa von Avila von Giovanni Lorenzo Bernini (1598-1680)
Die Skulptur befindet sich in der Kirche Santa Maria della Vittoria in Rom. Sie zeigt die heilige Teresa im Augenblick ihrer Vision, bei der ihr ein Engel mit dem Pfeil der göttlichen Liebe das Herz durchbohrt.
Teresa hat dieses Erlebnis in ihrer Autobiographie wie folgt beschrieben:
„Unmittelbar neben mir sah ich einen Engel in vollkommener körperlicher Gestalt. Der Engel war eher klein als groß, sehr schön, und sein Antlitz leuchtete in solchem Glanz, daß er zu jenen Engeln gehören mußte, die ganz vom Feuer göttlicher Liebe durchleuchtet sind; es müssen jene sein, die man Seraphe nennt. In der Hand des Engels sah ich einen langen goldenen Pfeil mit Feuer an der Spitze. Es schien mir, als stieße er ihn mehrmals in mein Herz, ich fühlte, wie das Eisen mein Innerstes durchdrang, und als er ihn herauszog, war mir, als nähme er mein Herz mit, und ich blieb erfüllt von flammender Liebe zu Gott. Der Schmerz war so stark, daß ich klagend aufschrie. Doch zugleich empfand ich eine so unendliche Süße, daß ich dem Schmerz ewige Dauer wünschte. Es war nicht körperlicher, sondern seelischer Schmerz, trotzdem er bis zu einem gewissen Grade auch auf den Körper gewirkt hat; süßeste Liebkosung, die der Seele von Gott werden kann.“
Einige Kunsthistoriker haben die Möglichkeit einer sexuellen Deutungsweise erwogen: „Ein Gesichtsausdruck wie der einer Frau im Orgasmus.“
Mechthild von Magdeburg
„Nun geht die Allerliebste zu dem Allerschönsten in die verborgenen Kammern der unsichtbaren Gottheit. Dort findet sie der Minne Bett und Gelaß und Gott übermenschlich bereit. Da spricht unser Herr:
»Haltet an, Frau Seele!«
»Was gebietest Du, Herr?«
»Ihr sollt nackt sein! «
»Herr, wie soll mir dann geschehen?«
»Frau Seele, Ihr seid so sehr in mich hineingestaltet, daß zwischen Euch und mir nichts sein kann. Es ward kein Engel je so geehrt, dem das wurde eine Stunde gewährt, was Euch von Ewigkeit ist gegeben. Darum sollt Ihr von Euch legen beides, Furcht und Scham und alle äußeren Tugenden. Nur die, die von Natur in Euch leben, sollt Ihr immerdar pflegen. Dies ist Euer edles Verlangen und Eure grundlose Begehrung; die will ich ewig erfüllen mit meiner endlosen Verschwendung.«
»Herr, nun bin ich eine nackte Seele, und Du in Dir selber ein reichgeschmückter Gott. Unser zweier Gemeinschaft ist ewiges Leben ohne Tod.«
Da geschieht eine selige Stille, und es wird ihrer beider Wille. Er gibt sich ihr, und sie gibt sich ihm. Was ihr nun geschieht, das weiß sie, und damit tröste ich mich. Aber dies kann nie lange sein. Denn wo zwei Geliebte verborgen sich sehen, müssen sie oft abschiedlos voneinander gehen.
Lieber Gottesfreund, diesen Minneweg habe ich dir geschrieben.
Gott möge ihn deinem Herzen erschließen! Amen.“